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Tonträger des Monats

FUZZMAN: “Willkommen im Nichts”, Lotterlabel LP/CD/digital VÖ 13. 10. 2023

Hui, da sind aber viele Platten eingetrudelt im Oktober. Aber einer muss diesmal ganz oben stehen, der große Fuzzman, bürgerlich Herwig Zamernik. Seine neue Platte erzählt vom Überleben, vom Dasein als einer der letzten Idioten, von Krieg und dem Nichts. In einer Tonalität, die – ohne zu kopieren! – immer wieder mal an Element of Crime erinnert, sich diese Freiheit auch nimmt. Poetisch, pathetisch und im nächsten Moment reibt der Fuzzman sich an bestehenden Verhältnissen. Ein Highlight ist da die kritische Hymne ans Kärntnerland “Mein Südland”. Im lesenswerten Interview mit Robert Fröwein von der Krone gibt es einiges zu erfahren über Fuzzmans Söhne, über Begräbnisse am Berg, über sein Festival und die Intentionen der Platte. Es ist ansonsten aber auch einfach eine gute Idee, die Scheibe gleich aufzulegen (oder meinetwegen auch die digitalen Dateien abzuspielen) und sich selbst ein Bild zu machen. Es ist ein wunderschönes Album, es ist ein würdiger Tonträger des Monats. Wer es nicht glaubt, schaut und hört sich das da an: https://youtu.be

Am 21. 10. gibt es quasi ein Heimspiel in Klagenfurt, Graz folgt am 10. 11., dann geht es nach Weyer, München, Ulm, Salzburg. Am 25. 11. ist der Fuzzman in der Arena, im März geht es weiter.

Fuzzman-Foto: © Ingo Pertramer

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LIZ METTA: “Introspection”, Siluh Records VÖ 27. 10.

Wir ändern die Tonart und wechseln von einem, der schon viel gesehen hat, zu einer Musikerin, die mit ihrem Debüt aufhorchen lässt. Liz Metta macht “Dreampop”. Der beste Hashtag dafür wäre #schwerelosigkeit und vermutlich auch deswegen hat Liz (oder ihr Label) das Planetarium in Wien für die Plattenpräsentation am 27. Oktober gewählt. Es ist aber nicht nur eine gewisse Leichtigkeit, es ist auch ein ausgeklügeltes Soundkonzept mit Gitarre, Synthies und Loops, die “Introspection” interessant machen. Jede Wette: Von Liz Metta werden wir noch viel hören.

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DIE BUBEN IM PELZ: “Verwandler”, Konkord VÖ 27. 10.

Und damit kommen wir noch mal zurück zu mittelalten Männern, die schon einiges erlebt haben. Die Buben im Pelz rund um die Herren Pfister und Fuchs sind nämlich schon länger volljährig und haben daher auch den Großmeister Lou Reed intus. Zum Gedenken an den  Meister haben sie ein Album aufgenommen, das mit dem “Transformer” spielt, aber keine wienerische Neuauflage ist. Ganz frisch ist die Auseinandersetzung der Buben mit Mr. Reed ja nicht. Kenner:innen werden sich an die Platte mit Wurst statt Banane erinnern. Neun Reed-Songs haben es auf den Verwandler geschafft, darunter transformierte Klassiker wie das herzzerreißende “Candy sagt” oder “Wischen”. Wiener Charme, der sich hemmungslos den großen Gefühlen hingibt, trifft New Yorker Großstadtgrant. Die Gitarre heult und dann hören wir die alte Wahrheit: “Ollas wird guat, wannst nix mehr wüst!” Schöner geht’s fast nicht.

Die Albumpräsentation der Buben im Pelz und Freund*innen findet genau am 10. Todestag von Lou Reed am 27. Oktober in der Roten Bar im Volkstheater statt. Damit leider eine Konkurrenzveranstaltung zu Liz Metta, aber die Zielgruppen dürften eh weitgehend andere sein.

Foto: Christian Zschammer

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BAD IDA: “Hope Less”, Konkord VÖ März 2023

Ja, richtig gelesen: März. Die Platte ist jetzt also gut ein halbes Jahr abgelegen, hat aber nichts an ihrer Frische verloren. Oder wie Sängerin Ines sagt: “Aufgrund der Melancholie, die darin steckt, ist unser Album vielleicht eh eher ein Herbst- als ein Frühlingsalbum.” Worum geht’s hier?

Ines Dallaji, Marc Bruckner und Alexander Lausch machen Soul. In Wien. Sachen gibt’s. Allein die Stimme wird dich in Sekunden in einen Fan verwandeln. Da meinen es drei Profis sehr ernst mit ihrer Musik und mit ihren Gefühlen. So gut wie in jedem zweiten Song wird da ein “You” direkt angespielt. Ein “Du”, mit dem es kein Weiterkommen gibt. Und deswegen wird die Hoffnung schrumpfen müssen. Weil dieses “Du” sich auch nicht ändern wird. Auch wenn man noch so sehr hofft.

Soul aus Wien. Sachen gibt’s, die großartig sind. Wer Bad Ida nicht kennt, sollte das daher schleunigst nachholen. Probehören?

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PANIK DELUXE: “Without Hope I am Nothing”, Seayou Records VÖ 13. 10.

Die Wienerin mit dem originellen Künstlernamen hat zum Thema Hoffnung auch was zu sagen. Der Sound ist sehr anders als bei Bad Ida, die Melancholie aber, die ist durchaus verbindend. Für traurige Nachteulen sei ihre Musik, sagt Panik. Und so bietet sie Beats, die einen von der Tanzfläche in das Dunkel führen. Eine spannende Mischung, ein prachtvolles Debüt, eine tolle Stimme. Ein sehr sehr gutes Album. Und daher gibt es hier einen Pflichttermin für Wien: Am 13. 11. präsentiert Panik Deluxe ihren Tonträger im B72. Lasst euch das nicht entgehen!

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WOLFRAM AND THE FUNERAL ORCHESTRA: “P.O.P. – Psychotisch oder Prophet”, Rauschgift Rosie Records VÖ 13. 10. 2023

Apropos Nacht und Hoffnung und Traurigkeit. Das ist das zweite Album einer Band, die man unter Indie+Folk einordnen könnte, so man das möchte. Das mit dem “Funeral Orchestra” deutet schon auf grenzenlose Heiterkeit hin und so ist es auch. Themen wie Angst, Depression, soziale Ungerechtigkeit kommen auch nicht von ungefähr. Wolfram ist eigentlich Rafael – und der ist Sozialarbeiter im – räusper – bürgerlichen Leben. Als schönes Gegengewicht zur Wiener Melancholie, die hier ja recht oft vorgestellt wird, ist der Wolfram hörbar ein Steirer. Und das ist nicht nur bei den Vocals abzulesen, sondern sogar ein wenig an der Instrumentierung. Man könnte beim Sound an die Mumfords denken, wir hören aber auch so etwas wie The Pogues mit Paul Plut als Gastsänger. Das Schöne an der Sache: Hier gibt niemand auf, es wird weiter gekämpft gegen all das Böse und Blöde da draußen. Und das Ganze sogar noch mit zarter Selbstironie. So soll’s sein!

Foto: Hannah Dornan

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WERCKMEISTER: “Maruschka”, VÖ 6. 10. 2023

David Howald ist ein Pop-Poet, aber einer, den man garantiert nie im Formatradio hören wird. Er spielt mit Werckmeister im Grenzbereich zwischen Experiment und Indie. Fritz Ostermayer charakterisierte ihn wie folgt: “…dieser Bursche mit der gottgesegneten Stimme eines Heulers und Zähneknirschers.” Das Heulen und Knirschen kommt einem auch bei den sieben Songs auf “Maruschka”, einer Platte, die dein Leben mit ein paar sehenswerten Abgründen füllen wird. Wer regelmäßig Ostermayers “Im Sumpf” hört und die Größen der Pop-Depression wie Scott Walker liebt, wird auch den Werckmeister gut finden. Garantiert.

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TMMT: “The Magical Misery Tour II”, Pumpkin Records VÖ 27. 10.

Der Grazer Lukas Maier verleiht sich selbst die Kurzform seines Projekts “The Magical Misery Tour” und Du wirst dir jetzt denken: Schon wieder leicht depressives Liedgut und tiefe tiefe Düsternis? Ja, sorry, passt doch eh gut zur Jahreszeit. Aber: TMMT ergibt sich sowieso nicht der Trübsal, sondern liefert eine Platte, die uns verzaubern will, die uns den spätherbstlichen Alltag versüßt. Gitarre, Piano, aber auch bei uns eher selten verwendete Instrumente wie die Sitar kommen zum Einsatz. Dazu kommt eine kleine Dosis Pathos, das aus jeder Strophe strömt. Es ist ein gelungenes Pop-Album, das in dieser Form die erste Veröffentlichung von Pumpkin unter neuer Führung ist. Sehr sauber produziert. So darf das gerne weitergehen.

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ROSI SPEZIAL: “Katza Jazz”, Füdla Records VÖ 29. 9. 2023

Michael Naphegyi (Vocals, Drums, Electronics, Trombone),  Lukas Schiemer (Saxophone, Synthesizer, Electronics), Georg Wollmann (Guitar) und Michael Blassnig am Bass machen sehr bewusst Kunst. Die Platte ist daher auch irgendwo in der Mitte zwischen Experimentalfilm-Soundtrack und Hörspiel angesiedelt. “Freejazzpopmusikkapelle” steht auf der Band-Website als Selbstbeschreibung. Das führt dann schon auch mal dazu, dass man Vorgruppe für Helge Schneider sein darf, was ja nicht die schlechteste Erfahrung ist. Ansonsten spielen die Herrschaften nicht gerade in Permanenz. Wer also ein Konzertchen erhaschen will, sollte sich dahin begeben: 20. 10. Wien Kramladen. Die Platte wird allen gefallen, die sich gern sehr deutlich vom Mainstream abheben.

Foto: Natali Glisic

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JEANNY: “Cecilia”, Problembär Records VÖ 20. 10.

Jeanny ist aus Wien. Es ist keine Frau namens Jeanny dabei, sondern fünf Musiker, die sich irgendwo zwischen Indie, Post-Punk und Hardcore entlang arbeiten. Das kann laut werden und zornig, dann kommt plötzlich die Hymne unerwartet um die Ecke. Nicht gerade unwichtig: Die Trompete von Bernhard Schrenk. All das hat auch Therapie-Charakter, zumindest wenn man dem Text von Song Nr. 1 folgen will. Es klescht und es klescht gut. Wenn man das mit irgendwas vergleichen will, dann vielleicht ansatzweise mit Ja, Panik. Aber eigentlich ist Jeanny sehr eigen und braucht keine Parallelen. Die Platte hat ordentlich Kraft und Speed, sollte also den Hartgesottenen unter euch gefallen. Uns taugt es sehr!

25.10. Wien @ Flex w/ Anda Morts, Honestly The Worst
29.10. Graz @ SUB
31.10. Feldbach @ Glam
10.11. Linz @ Ann and Pat
24.11. Graz @ PPC w/ Leftovers
25.11. Steyr @ Röda w/ Leftovers

Foto: Jonatan Langendorf

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MELA: “Sometimes what heart knows, head forgets” Kleio Records, VÖ 29. 9.

Gegen Ende hin wird es hier wieder friedlicher, fast schon fröhlich. Mela ist ein Indie-Pop-Duo aus Wien. Die beiden haben die Musikgeschichte eingehend studiert. Von Pet-Shop-Boys-artigem bis Punk können sie switchen, wenn es ihnen danach ist. Da darf auch ein klein wenig Stadionrock-Feeling mitschwingen – wenn es auch nicht das Ernst-Happel-Oval ist, sondern eher die Hohe Warte. Für den Sound ist Philipp Siegert alias Filt verantwortlich, liest man in den Presseunterlagen. Was vielleicht ein wenig fehlt: Der Widerhaken. Andererseits: Wir brauchen in diesen Wochen zwischendurch auch mal was Unkompliziertes, das nicht ausgeprochen heiter, aber auch nicht zu stürmisch ist. Und so gesehen kommt Mela genau recht.

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LIZZ GÖRGL: “Danke für die Zeit”, Lizz n’ Records VÖ 29. 9. 

Während der Skiverband auf traurigen Schneebändern am Gletscher die Saison eröffnet, ist die frühere Profi-Fahrerin ins Studio gewedelt. Nach einigen Singles ist dies hier der erste Longplayer. Offenbar nur als Download erhältlich. Die Platte ist bewusst akustisch, sagt der PR-Text. Aus dem wir in der Folge kurz zitieren wollen:

“Warum akustisch? Lizz kreiert aus selbst getexteten Songs ehrliche Musik mit Gefühl. Unter dem Motto weniger ist mehr, verzichten sie und ihr Team auf elektronische Effekte. Sie spielen alle Spuren live im Studio ein und legen den Schwerpunkt ganz klar auf die Stimme der Künstlerin und auf die Einzigartigkeit eines Ukulelensounds, die warmen Töne des Cellos und die Variabilität von Klavier, Gitarren und Bass. Ihre Stimme ist nah, zerbrechlich, klar und kraftvoll zu gleich und unterstreicht ihre tiefgründigen Texte.”

Alter Verwalter. Und wie tut das jetzt? Also erstens spart Lizz nicht mit Songs, sie hat gleich 15 Stück reingepackt. Zweitens sind die Songtitel eher aus der Koch-Records-Ecke: “Bis meine Adern gfriern”, “Ich hab mein Herz verschenkt”, “Wie schön des Leben is”. Die Musik ist getragen, die Stimme hell. Das Klavier übertönt den Gesang immer wieder. Die Texte holpern fröhlich durch die Gefühlswelt. Von tiefgründig kann echt nicht die Rede sein, Leute. Die Refrains werden ausgekostet bis zum Gehtnichtmehr. Das ist alles gut gemeint und teilweise auch gut gemacht. Unsere Vermutung ist allerdings, dass sich die Verkäufe trotz prominenten Namens in Grenzen halten werden. Es ist noch ein weiter Weg hin zur Musikkarriere und als Wegbegleiter wünscht man der Lizz ein bisschen mehr Coolness, vielleicht sogar Humor. Und sehr gern mehr Tiefgang.

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