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Musikbuch des Monats November

Claus Oistric: “Als der Vorhang fiel. Punk im Wien der 90er”, Edition Glitzer & Grind (Milena Verlag), Oktober 2023

Es gibt mittlerweile unzählige Musikbücher und Bandromane über Subkultur, das Leben auf Tour und Konzerterlebnisse. Gleich vorab: Das vorliegende Buch „Als der Vorhang fiel. Punk im Wien der 90er“ von Claus Oistric schlägt in eine ähnliche Kerbe und hebt sich gleichzeitig vom typischen Einheitsbrei ab. Es ist primär eine Geschichte darüber, wie die Punk-Bewegung Ende der 1970er-Jahre nach Wien kam, sich über die Jahre in der Hauptstadt mit diversen Bands und Lokalitäten entwickelte und durch Einzelpersonen und Szenekollektive massive Unterstützung fand.

Bevor wir uns mit der Beziehung von Mensch und Punk in Wien auseinandersetzen – lassen Sie uns mit ein paar Aussagen, Geschichten und Gerüchten in diese Epoche einsteigen:

• Bis Ende der 1970er-Jahre war es in Wien verboten, öffentliche Grünflächen zu betreten.
•  FALCO hätte fast ein Lied einer lokalen Wiener Punkband übernommen und aufgenommen.
• Tiroler Punks und Linzer Szene waren sehr wichtig für die Entwicklung in der Hauptstadt.
• Revierverteilung: SPALO war eher für Hippies und ÄGIDI war eher Punk.
• Österreichische Hip-Hop-Pioniere wie TEXTA oder SCHÖNHEITSFE(H)LER spielten lange in denselben Locations wie Punkbands.
• DIE TOTEN HOSEN begannen ihr U4-Konzert in Wien erst, als endlich die Punks reindurften.
• Das legendäre BAD RELIGION Live Bootleg 1989 wurde in Wien aufgenommen.

Diese und viele andere Themen werden durch Zeitzeug:innen in Interviewform erläutert. Gleichzeitig erzeugen Konzertflyer und Live-Fotos eine spürbare Atmosphäre. Um es direkt auf den Punk(t) zu bringen: Diese Stilmittel ermöglichen einen realen geschichtlichen Einblick in die Punk-Welt von gestern und unterstreichen die gute publizistische Arbeit von Oistric.

Arena!

Die ARENA-Besetzung (1976) und die Burggarten-Bewegung (1979) sind wohl eher nicht die „echten“ Eltern der Wiener Punk-Bewegung, waren jedoch wichtige Schlüsselepisoden für einen Aufbruch zu neuen Kulturformen in der „toten Stadt“ Wien. Und ob CHUZPE (aus Wien) oder doch CHAOS (aus Feldkirch) die erste österreichische Punkband war, ist letztendlich auch nicht weiter relevant für die Erzählung in „Als der Vorhang fiel …“. Da waren eher die „Chaostage“ in Innsbruck (Mitte der 1980er-Jahre) oder die gut funktionierende Szene in Linz wichtige Achsen für „die Wiener Außenseiter in Leder“.

Chelsea! Flex!

Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs kam die Stadt in Schwung und erste subkulturelle Infrastruktur entstand. CHELSEA, FLEX (1 und später 2) oder auch ARENA und EKH waren und sind wichtige Örtlichkeiten der (Wiener und österreichischen) Punk-Bewegung. DIY („Willst du eine Szene, dann mach dir eine Szene“) und kollektives Handeln waren in der Hauptstadt angekommen und folglich ausschlaggebend für eine wachsende Szene und Entwicklung der österreichischen Musiklandschaft.

Der Publizist, Kommunikationswissenschaftler und Musiker Claus Oistric traf im Zuge der Recherchearbeiten für sein Erstlingswerk viele Mitglieder von Bands wie COLD WORLD, EXTREM, KULTA DIMENTIA, PROGRAMM C uvm. sowie Konzertveranstalter (DEAD MOUNTAINS …), Fanzines (FLEX ́S DIGEST, CHELSEA CHRONICLE, DER GRÜNE PUNK …) und Labelbetreiber:innen. Das 170-seitige Buch bildet eine dokumentarische, chronologische und zugleich informative Lektüre, die die Punk-Bewegung in Wien (und Umgebung) über die letzten Jahrzehnte betrachtet. Es ist eine musikalische Reise durch die 1970er-, 80er- und 90er- Jahre, die viele (aber leider dann doch nicht alle) Ereignisse abzudecken versucht. Als Steirer schmerzt es ein wenig, dass das CONAN CITY Kollektiv nur in einem Satz erwähnt wird. Doch egal: Das ist wieder eine andere Geschichte bzw. ein eigenes Buch.

Fazit: Oistric liegen das Thema und Punk am Herzen. Das bringt er glaubhaft rüber. Gleichzeitig ist es eine einmalige Reise in die musikalische Vergangenheit der österreichischenSubkultur. Das wiederum ist wichtig und einfach schön. Danke!

Text und Foto: aL

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