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Dramen, die das Leben schrieb Film

Haubentauchers Theaterwochen: Und was, wenn niemand kommt?

“Wolken ziehen vorüber. Erzählungen aus der Abstiegsgesellschaft von Aki Kaurismäki in einer TiB-Bearbeitung”

Finnland, Mitte der 1990er. Nach einer zweiten sehr erfolgreichen Filmkomödie mit der schrägsten Partie des Landes, den Leningrad Cowboys, ist Regisseur Aki Kaurismäki das Lachen wieder gründlich vergangen. Im Streifen “Wolken ziehen vorüber” erzählt er die Geschichte von einfachen Menschen und ihren Sorgen und Nöten, von Arbeitslosigkeit und Krediten, von Alkohol und drohendem Verlust der Wohnung. “Wolken ziehen vorüber” wird der Auftakt zur “Trilogie der Verlierer”.

Kaurismäki konzentriert sich in seinem Film auf zwei Personen und ihre Gesichter, die Verzweiflung, Depression, Enttäuschung, Desillusionierung, aber auch Zuneigung in Reinkultur zeigen. Die einzigartige Kati Outinen erlebt als Ilona eine Kündigung. Ihrem Mann Lauri, gespielt von Kari Väänänen, passiert genau das selbe. Was tun? Das Geld wird knapp, die Chancen auf ein baldiges Rückzahlen der Schulden schwinden. Schließlich ermöglicht ihre frühere Chefin, Frau Sjöholm, Ilona doch noch eine neue Option. Die Kellnerin kann mit ihrer Hilfe ein Lokal eröffnen, das sie “Työ” nennt, was so viel wie “Arbeit” bedeutet. Die früheren Kollegen Melartin und Lajunen werden auch angestellt. Es kann losgehen. Wäre da nicht die bange Frage: “Und was, wenn niemand kommt?”

Im Theater im Bahnhof haben Regisseur Helmut Köpping, Heike Barnard und Helene Thümmel ein Ambiente geschaffen, das eine Spur Eleganz mit einer Dosis Tristesse verbindet. Exakt die selbe Mischung ist es, die Martina Zinner sehr überzeugend verkörpert. Sie entfernt sich gerade so weit von Kati Outinens Vorlage, dass sie nicht in die Gefahr gerät, zur Imitatorin zu werden.

Ilonas Restaurant steht unmittelbar vor der Eröffnung, die Belegschaft trinkt sich Mut an. Und bilanziert zugleich über die leidvollen Erfahrungen der vergangenen Jahre. Dabei transferiert das TiB den Stoff in die hiesige Gegenwart. Zaid Alsalame als Melartin erzählt vom unwürdigen Leben als Leiharbeiter. Johnny Mhanna als Lajunen berichtet von der Kündigung, die ihn plötzlich als Leiter eines Supermarkts ereilt. Jacob Branigan als Lauri bekommt keinen Job als Busfahrer mehr, weil sein Gehör zu schlecht ist. Zur Aktualisierung mit Zahlen und Fakten vom Arbeitsmarkt in Österreich kommen auch neue sprachliche Ebenen, die drei Schauspieler lassen ihre Herkunft und ihre Biographien ein Stück weit einfließen. Und dann gibt es Monika Klengel, die als Leiterin eines Schlaflabors den drei Männern Anweisungen erteilt. Sie sollen möglichst ruhig schlafen, überwacht von den “sensiblen Sensoren” im Labor. So läuft die Handlung weg vom Film und retour in die Vorgeschichte, dreht sich um die eigene Achse wie im finnischen Tango – und am Ende sind wir wieder am Anfang angelangt. Wir warten auf die ersten Gäste im Lokal und glücklicherweise sagen sich tatsächlich gerade welche an.

Zur Handlung auf einer spartanischen, weitgehend leergeräumten Bühne mit ein paar Tischen, Vorhängen, Mikrofonen und reichlich Alkohol gesellen sich Bild, Ton und Musik auf der Leinwand. In einer Szene, die man als einen Höhepunkt sehen könnte, tanzen die handelnden Personen im Video vor der Aufschrift “Würde”, die an vielen Wänden dieser Stadt zu sehen ist.

Der Abend ist erfreulicherweise kein Versuch, den Film auf die Bühne in der Elisabethinergasse zu hieven. Es ist, wie das TiB sagt, eine “Überschreibung” und so auch eine ideenreiche und respektvolle Hommage an den Regisseur, der sich als einer der wenigen im Kino seine Heldinnen und Helden in den einfachen Verhältnissen sucht. Es ist vor allem aber auch ein Abend, der uns sehr deutlich zeigt, wie schnell es gehen kann und schwuppdiwupp ist man arbeits- und damit womöglich auch bald hoffnungslos. Ob man die filmische Vorlage kennt oder nicht: Diese Adaption ist abwechslungsreich und öffnet neue Perspektiven. Für Ilona – und vielleicht auch für uns.

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Noch zu sehen am: 5., 6., 7. sowie 12., 13. 14. und 19., 20, 21. Mai 2022, jeweils um 20 Uhr im Theater im Bahnhof

Foto: TiB / Johannes Gellner 2022

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PS: Wer es noch nicht kennt, hier eine Podcast-Folge mit TiB-Geschäftsführerin Monika Klengel.

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