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Dramen, die das Leben schrieb Festivals Künstler/innen

Filmtheater des Monats

Der Große Diktator im Schauspielhaus Graz.
Ein Premierenbericht.

Regisseurin Clara Weyde und Dramaturgin Franziska Betz entwerfen eingangs ein Spiel im Spiel. Chaplin-Imitatorin Melly trifft am Grabstein ihres Idols und Vorbildes auf Kollegen und Konkurrenten Marcel. Die eine, um sich von ihrer Rolle endgültig zu verabschieden, der andere, um seiner Berufung zu huldigen.

Das alte Feuer des Wettbewerbs lodert heller als gedacht. Wer war und ist der bessere Chaplin? In der Hitze der Auseinandersetzung stürzen sie den Grabstein und damit gemeinsam ins Kriegschaos. Im Tomalien des großen Diktators erliegen Melly und Marcel der Versuchung, sich ins Raum-Zeit-Kontinuum einzumischen. Endlich winkt die lang ersehnte Anerkennung in Chaplins Paraderolle. Marcel muss einsehen, dass er als Hynkel nicht taugt. Melly rettet ihn. Schon drohen die tomalischen Figuren aus dem Schatten zu treten und die beiden aufzufliegen. Mellys Solidarität ist von kurzer Dauer.

Julia Gräfner entfaltet kraftvoll einen unberechenbaren und eitlen wie einfältigen Anton Hynkel. Pointiert lässt sie die getriebene, aber tollpatschige Melly mit dem Diktator verschmelzen. Alexej Lochmann stellt sich als sympathischer, nicht minder ehrgeiziger Marcel klar auf die Seite der Unterdrückten. Seine Symbiose mit dem jüdischen Friseur ermöglicht ihm den ersehnten, großen Auftritt als Komödiant, der ihm auch diesmal nicht richtig gelingen will.

Doch dieses Spiel kennt keine Gewinner, beide sind mit ihrer Aufgabe überfordert. Melly als Hynkel ist eine doppelt komische Farce, Marcel als liebenswürdiger Friseur auf der falschen Seite. Niko Link als doppelzüngiger Garbitsch, Clemens Maria Riegler in der Rolle des dümmlichen Herring und Sarah Sophia Meyer als eiskalt berechnende Sekretärin treiben Melly vor sich her. Slapstick und wilde Verfolgungsjagden über das vielseitige Bühnenbild sorgen für Verwirrung, eine Eskalation ist vorprogrammiert.

Die Handlung folgt nun einer neuen Erzählung. Selbst, als Marcel noch einmal beherzt versucht, das Ruder an sich zu reißen und zur großen Rede über Menschlichkeit ansetzt. Die Einflüsterer der zweiten Reihe sind zu mächtig. Tomalien verändert sich nicht, der Diktator ist beliebig austauschbar. Der Optimismus nach Chaplins Vorlage bleibt uns Zuseher*innen verwehrt.

Ein turbulenter Bühnenabend endet nachdenklich.

***

Die nächsten Termine im HAUS EINS:

SA, 29. Mai 19:30 – 21:20

Do, 3. Jun 19:30 – 21:20

Fr, 4. Jun 19:30 – 21:20

Sa, 5. Jun 19:30 – 21:20

 

REGIE | Clara Weyde; BÜHNE | Anna Bergemann; KOSTÜME | Clemens Leander; MUSIK | Thomas Leboeg; DRAMATURGIE | Franziska Betz; LICHT | Thomas Trummer

HYNKEL | Julia Gräfner; FRISEUR | Alexej Lochmann; HANNAH | Lisa Birke Balzer; GARBITSCH | Nico Link; NAPALONI | Mario Fuchs; HERRING | Clemens Maria Riegler; SEKRETÄRIN | Sarah Sophia Meyer; SCHMITZ | Fredrik Jan Hofmann

KELLER / MADAME NAPALONI | Oliver Chomik; RADIO TOMANIA | Evamaria Salcher.

Foto: Karelly Lamprecht 2021

https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com/

 

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