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Dramen, die das Leben schrieb Festivals

herbstblog #3: Auswärtsfahrt und Heimspiel

Peter Sloterdijk & Slavoj Žižek am 6. 10. beim Indigo Festival in Ljubljana

Lustige Idee: Eine Busfahrt von Graz in die slowenische Hauptstadt, um dort zwei Stunden lang zwei alten weisen Männern beim Philosophieren und beim Namedropping zuzuhören. Und anschließend wieder retour kutschiert zu werden. Der steirische herbst kooperierte mit dem Indigo Festival und der Shuttle-Bus war zwar nicht ausgebucht, aber doch gut gefüllt mit vorwiegend jungem Publikum. 

Im schicken Kulturzentrum Cukrarna ist ein ebenfalls recht junges Auditorium in großen Mengen erschienen, um Local Hero Žižek und dem deutschen Altmeister Sloterdijk dabei zu folgen, wie sie in etwas ruckeligem Englisch kunstvoll aneinander vorbei reden. In der Mitte die Moderatorin aus dem Goethe-Institut, die interessiert lauscht, viele Notizen macht und ansonsten kaum eingreift.

Žižek im Duell der Denker natürlich pointierter und provokanter, Sloterdijk eher der klassischen Linie folgend. So beginnt der Deutsche mit Plato und Rousseau. Der Slowene hingegen meint zum Spannungsverhältnis der beiden Diskutanten: “Wer solche Feinde hat wie Peter Sloterdijk, braucht keine Freunde mehr.” Ein zentrales Thema an diesem Abend: Die Wahrheit – oder vielmehr die Wahrheiten. Ein zweites ist die selbst zerstörerische Haltung des Westens, der an allem schuld sein will, was auf der Welt schief läuft. Und in einem Punkt sind sich beide endgültig einig: “Der Niedergang der Philosophie begann mit Aristoteles!”

Ein etwas überstrapazierter Gulag-Witz folgt dem nächsten. Gut hingegen Žižeks Joke mit Ehefrau, Liebhaber und dem betrunkenen Ehemann, der im Bett plötzlich sechs Füße sieht. Heidegger hier, Lacan da, zwischendurch wird Freud rehabilitiert und Sartre zitiert. Es geht aber auch ohne Namedropping. So philosophiert Sloterdijk über die Liebe zur Natur, die das Aufwachsen im Uterus imitiert. Und Žižek gesteht: “Bei meinem Analytiker hab ich auch immer durchgeredet. Ich hatte Angst, wenn ich einmal kurz aufhöre, stellt er mir eine Frage, die ich nicht beantworten kann.”

Zwar meiden beide die tagespolitische Diskussion, trendige Themen wie die KI kommen so gut wie nicht zur Sprache. Dafür aber gibt es mehr als einen klugen Gedanken zur Lage in Russland und der Ukraine. Sloterdijk sagt: “Was wir heute sehen, ist ein Rückschritt in der Kriegsführung. Den ‘kalten Krieg’ konnte man nicht gewinnen. Aber heute glaubt man wieder an die Möglichkeit des Siegs.” Und weiter meint der deutsche Denker ohne Socken, auf sein wohl wichtigstes Werk anspielend: “Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe gedacht, dass in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts der Höhepunkt des Zynismus zu erleben war. Das stimmt nicht: Wir sehen heute von Brasilien über die USA bis nach Russland einen neuen ‘Peak of Lie’.”

Und auch Slavoj Žižek streut nicht nur kleine komische Szenen ein wie eine Winnetou-Imitation, sondern hat auch Substanzielles beizutragen: “Das Problem ist nicht, dass man die Wahrheit nicht erreichen kann. Nein, man kann ihr nicht entkommen. Selbst, wenn man lügen will.”

Wir würden lügen, würden wir behaupten, dass dieses philosophische Pingpong der beiden Altmeister nicht sehr unterhaltsam gewesen wäre. Und eines haben wir uns für zukünftige Ausflüge auch aufgeschrieben: Das Indigo Festival, so etwas wie das Grazer Elevate im Laibacher Mini-Format. Mit Diskurs und Musik, mit Twin-Peaks-artigem Stiegenhaus und sehr gutem Craft Beer an der Bar.

Fotos: Haubentaucher.at 2023

 

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