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Musikroman des Monats

Tijan Sila: „Krach“, Kiepenheuer & Witsch 2021   

 „‚Klären geht immer, ihr Buwe’, gab ich hinzu und die Österreicher taten, was Österreicher tun: Sie unterwerfen sich uns Deutschen“, schreibt der Autor, Gitarrist einer Punkband und Lehrer Tijan Sila provokant in seiner literarischen Coming-of-Age-Story „Krach“ mit deutlichen Dialogen und Humor, der bisweilen recht rustikal verstanden werden kann, die Sache aber immer auf den Punk(t) trifft.

Sila wird 1981 in Sarajevo geboren, emigriert 1994 mit seiner Familie nach Deutschland und studiert Germanistik in Heidelberg. Er hört schon als Kind Punkrock („I wanna be sedated“ von den Ramones war seine erste Liebe) und tourt in den Neunzigerjahren selbst mit seiner Band „Atlas Lanze“ durch Deutschland. Er ist also Szenekenner und führt die Leser*innen gekonnt in das Herz einer Subkultur. Diese außergewöhnliche Mischung aus Herkunft, Ideologie und Sprachentwicklung verleihen dem dritten Roman von Tijan Sila eine eigene literarische Note, die auf glaubwürdige Weise Dialekt („Buwe“), Jugendsprache und Slang („Tschukkekahler“ = Hundefresser) verbindet. Gleichzeitig schwingt er die verschlissene Punkrock-Flagge nochmals mit voller Kraft und rotzt den Leser*innen einen literarischen Gassenhauer vor die Füße, der es in sich hat. „Krach“ ist schnell, rasant und ohne Pause, ohne Solos oder sonstigen Schnick-Schnack.

Das 270-seitige Werk ist eine humorvolle und wilde Lektüre, in der die wesentlichen Themen wie Identität, Zugehörigkeit, Freundschaft und Liebe behandelt werden. Der Autor erzählt in „Krach“ von Hauptdarsteller Gansi, einem Teenager und Sohn bosnischer Einwanderer, der in den 90er-Jahren in Calvusberg in der Pfalz seinen Platz in einer Punkband gefunden hat. Gansi (der in Wirklichkeit Sabahudin heißt) ist also Bosnier und Punkrocker – und wie viele Bosnier hat er auch serbische und kroatische Wurzeln. Folglich sind die Dialoge im Buch irgendwo zwischen pfälzischem Dialekt und Jugendsprache angesiedelt, sie machen dieses Buch so besonders. Auf diese Weise schafft es der Autor, den Blick auf seine Welt aus Sicht eines Punk-Emigranten in unverwechselbarer Sprache zu vermitteln.Die Leser*innen erfahren u. a., wie sich Gansi Faschos mit Baseballschlägern stellt, Radau in Jugendzentren oder besetzten Häusern veranstaltet und ob Bandkollegin Ursel oder doch Katja aus dem Nachbarsviertel „Texas“ die zweite Liebe (nach Punkrock) ist. Es ist eine unvergessliche literarische Sauftour zwischen Straßenschlacht und Teenagerliebe, die selbstkritisch und -ironisch anrauscht und wie ein kreischender Gitarrenrückkoppler im Kopf zurückbleibt. „Krach“ ist laut, schnell und aufmüpfig wie eine gute Punkcombo.

Tijan Sila ist zudem ein glaubhafter Erzähler und ein Rocker mit Herz. Sein Werk ist für Leser*innen und Freund*innen gedacht, für die Punk mehr als ein Musikstil ist, die auf Tour-Geschichten aus den Neunzigern stehen und erfahren wollen, warum die Sex Pistols angeblich besser als The Clash waren (sorry, aber hier vergeben wir den einzigen Minuspunkt …). Mittlerweile fast schon Tradition in meinen Bandbuchbesprechungen folgt hier wieder ein Ohrwurm aus „Krach“ als Zugabe zum Schluss: „Pappbecher, Lautsprecher, Knochenbrecher, Aschenbecher, Verbrecher! Das ist Calvusberg!“

Text & Foto: aL

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