Der junge Mensch mit dem seltsamen Humor und den eigenartig-einzigartigen Videos ist uns auf Insta zum ersten Mal aufgefallen. Ein Grazer ganz offensichtlich. Wer sonst würde sich Estragon8020 nennen? Wir wollten mehr wissen und haben nachgefragt.
8020 ist erklärbar, aber Estragon, wieso Estragon?
Ich hatte bereits 2016 mit zwei Freunden eine eher unprofessionelle Stoner-Rock-Band als Spaßprojekt, namens »Hosen-Senf-Hosen«, musikalisch irgendwo zwischen Helge Schneider, Pink Floyd und unerträglich experimentellem Gedudel. Daher stammt eine gewisse ironische Senf-Affinität in meinem Leben. 2020 hat mir dann eine Freundin die Zwischenmiete in Senftuben bezahlt und ich war gezwungen alle Bekannten zu einer Senf-Party einzuladen, um das Zeug irgendwie wieder loszuwerden. Ab diesem Zeitpunkt war ich als »der Typ mit dem Senf« bekannt. Estragon war also eine logische Weiterentwicklung meines mir vorauseilenden Rufs, wobei es sich ja um ein vielfältiges Gewürz handelt, mit dem mehr gemacht wird als nur Senf. Die Phonetik hat mir auch gefallen, wenn man den Namen ausspricht, ohne an Senf zu denken, wirkt er ganz anders. Irgendwie hat mir das gut gepasst, weil ich das ganze Projekt zwar schon mit einer gewissen Ironie mache, es aber keine reine Satire ist. Ich möchte mir auch die Freiheit bewahren, ernsthafte oder emotionale Inhalte machen zu können wenn ich will. Ich betrachte den Charakter als Spielwiese, auf der ich musikalisch und lyrisch alle Freiheiten habe. So kann die Pflanze Estragon auch als Heilpflanze eingesetzt werden. Die alten Römer und die Chinesen verwendeten die Pflanze als Schutz gegen Schlangen und Drachen. Der Name der Pflanze kann in der Herkunft auch auf die Bedeutung »kleiner Drache« zurückgeführt werden.
Du scheinst eine Affinität zur Rösselmühle zu haben. Wieso, warum und was meinst du, wird dort in Zukunft passieren?
Tatsächlich bin ich dort ja mit dem Kunstvereinen Raum 117 an der Zwischennutzung des ehemaligen Arbeiter-Hauses am Gelände beteiligt. Mich interessieren solche Subkultur-Orte besonders, seit ich 2019 in den Reininghausgründen tätig war. Dort habe ich gesehen, wie frei man in solchen Leerständen arbeiten kann und wie dort Möglichkeiten zum Austausch von Sub-, Party-, Jugendkultur und Kunstszene entstehen, die den versnobten White-Cube Institutionen vor Schreck den Stock aus dem Arsch fallen lassen. (Sorry für die Formulierung, aber ich bin ja jetzt Rapper.) Außerdem strahlen solche alten Industrieruinen eine gewisse Magie und Authentizität aus, die den meisten Neubauprojekten vollkommen fehlt.
Die Zukunft der Rösselmühle ist ein ganz eigenes Kapitel, da gibt es Interessen und Befindlichkeiten von Seiten der Kultur, Politik, Besitzer*innen, Entwickler*innen etc. Ich glaube, dass sich der Diskurs über das Grundstück noch zu einer zentralen Debatte in der Grazer Stadtpolitik entwickeln wird, weil es meiner Meinung nach das interessanteste Grundstück der ganzen Stadt ist. Wenn die Rösselmühle dem Wohnbau zum Opfer fällt, darf man sich meiner Meinung nach nicht mehr Kulturhauptstadt schimpfen.
Noch bist du in der Startphase. Wohin soll die Reise gehen? Wird das die Grazer Antwort auf RAF Camora? Oder doch eher ein Hobby neben dem Job?
Ich mach mir da keine Illusionen, dass man es als Musiker*in heutzutage nicht leicht hat und man – vor allem im Rap – in der Masse sehr schnell untergeht. Einen Job zu haben, den ich gerne mache und der die Miete zahlt, gibt mir die Freiheit, das Ganze nicht zu ernst nehmen zu müssen. Dadurch kann ich experimentieren, ohne irgendwelche Trends erfüllen zu müssen. Ich will jetzt die Resonanz zu den ersten Releases abwarten und schauen, was da drin ist für mich. Am wichtigsten ist für mich aber immer das »einfach (fertig) machen«. Es bringt mir nichts, wenn ich ewig auf tausenden Ideen herumkaue, die am Ende alle in der Schublade versauern. Deswegen habe ich auch noch keinen konkreten Plan und keine klare Linie für das Projekt. Aber da vertraue ich auf den Prozess und darauf, dass die Richtung schon ungefähr stimmt.
Wie siehst du die Grazer Szene? Wer sind wichtige Namen aus deiner Crew, die man kennen(lernen) sollte?
Die Grazer Rap-Szene ist tatsächlich größer als gedacht. Da gibt es alles von Mundart über Straßenrap, Boom Bap bis hin zu modernem Techno-Rap. Ich habe vieles erst jetzt kennengelernt, als ich mit dem Projekt in die Umsetzung gegangen bin. Davor habe ich nur mit Freunden im Stadtpark und in WGs gefreestylt. Die Freunde haben dann auch Alben veröffentlicht, sind aber nicht mehr in Graz oder haben aufgehört mit Rap. Einer schreibt jetzt Seemannslieder und will mit der ganzen HipHop-Kultur gar nichts mehr zu tun haben. Aber diese Seemannslieder sind echt der Hammer.
Ich habe mit Sirius Sue, einer guten Freundin aus dieser Zeit, die jetzt in Linz studiert, bald einen gemeinsamen Track. Sie veröffentlicht auch demnächst ihre ersten Solo-Projekte. Mit Mario Tomić arbeite ich auch zusammen, er kommt aber aus der Poetry-Slam-Szene. Generell entsteht aus meiner Sicht musikalisch gerade viel in Graz. Aber da kann ich jetzt nicht anfangen, Leute aufzuzählen, sonst vergess ich jemanden und dann gibt es wieder Beef. 😉
Beste Location in Graz neben der Rösselmühle?
Wenn ich das jetzt wörtlich nehme, dann ist die Postgarage neben der Rösselmühle. Ansonsten sicher das Zotl, unsere kleine Szene-Zwischen-Nutzungs-Location in der Harrachgasse 1 für spontane Veranstaltungen. Raum117 gegenüber der Helmut-List-Halle als Atelier. Das Cafe Wolf für ein schnelles Bier und ein paar komische Gespräche mit schrägen Vögeln, die Taggerwerke und Dom im Berg für lange Nächte.
Nur das Music House ist seit dem Nichtraucherschutzgesetz nicht mehr dasselbe, weil man seitdem den Schweiß, die Pisse und die Kotze so stark riechen kann.
Legale Lieblingsdroge?
Kaffee und Zigaretten in genau dieser Kombination.
Einflussreichste*r Künstler*in für dich?
Mich hat sehr viel beeinflusst, mein ganzes Leben lang. Von Büchern über Serien, Youtubern, Musiker*innen in unterschiedlichsten Genres, Malern, Regisseuren… die Liste wäre zu lang.
Allein wenn es um Musik geht, höre ich auch viel mehr als nur Rap. Deutschrap fasziniert mich, weil ich die Lyrik viel besser bewerten kann als im Englischen. Aber tatsächlich finde ich, die beste deutschsprachige Lyrik hat in der Musik meiner Meinung nach noch immer Element of Crime, da ist noch kein einziger deutschsprachiger Rapper rangekommen.
Stadtaffe von Peter Fox bleibt für mich das beste Album im Deutschrap-Genre. Aber ich höre auch moderne Artists. Von Nina Chuba über SkiAggu bis hin zu Apache. Eine Zeit lang habe ich gar keinen »Conscious-Rap« (also Sozialkritischen Rap) hören können, weil mich das einfach zu sehr runtergezogen hat, da wollte ich einfach nur abschalten, wenn ich Musik gehört habe. Aber langsam kommt das auch wieder zurück bei mir. In dieser Richtung kann ich Umse, Disarstar und Fatoni mit ihren jeweils aktuellen Alben empfehlen.
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Estragon8020 ist ein Grazer Rapper, der seit Anfang 2023 Musik veröffentlicht. Ursprünglich in der freien Kunst- und Kulturszene entwickelte er sich über Poetry-Slam in Richtung Rap. In seiner Musik experimentiert er mit unterschiedlichen Sub-Genres des Rap und legt den Fokus auf humorvolle Lyrik und anspruchsvolle Reim-Schemata.
Infos & News
Derzeit veröffentlicht er Singles und Musikvideos, arbeitet bereits an einem Mixtape, das Ende des Jahres erscheint.
Auftritte gibt er derzeit spontan über Instagram bekannt, mehr gibt es diesbezüglich 2024. Estragon8020 ist auf Instagram gut erreichbar falls ihr Fragen habt. Die neue Single »Tagliatelle« ist Anfang Oktober erschienen, man kann sie und auch die anderen Songs auf Spotify und allen gängigen Plattformen hören.
Auf youtube veröffentlicht er tatsächlich sehr sehenswerte Musikvideos. Zu den ersten zwei Singles gibt es diese bereits online, zu »Tagliatelle« soll es demnächst soweit sein.
Fotos: © Lukas Diemling