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Salzburg Report

Iphigenia. Frei nach Euripides/Goethe
von Joanna Bednarczyk

Salzburger Festspiele 2022

Iphigenia steht in der griechischen Mythologie für das Opfer der Frau, das sich entrechtet den Entscheidungen der maskulinen Gesellschaftshälfte zu fügen hat. Agamemnon benötigt sie, um die Götter gnädig zu stimmen, Toas auf Aulis hätte sie gern zur Frau, Orest fordert ihre Hilfe beim Diebstahl der Artemis-Statue. Iphigenia ist zerrissen in den ihr zugewiesenen Rollen und handelt wiederholt gegen ihren Willen und ihr persönliches Wohl.

Im zeitgenössischen Stück stellt Joanna Bednarczyk die Entrechtung der Frau anhand der Familiendynamik im Hause Agamemnon in den Mittelpunkt. Das zentrale Thema, an dem die Entrechtung abgearbeitet wird, ist der körperliche Missbrauch Iphigenias durch ihren Onkel Menelaos und die Ignoranz der Eltern, Agamemnon und Klytaimnestra.

Agamemnon ist ein renommierter Philosophieprofessor, dessen neue Publikation kurz vor der Veröffentlichung steht, Klytaimnestra eine stadtbekannte Schauspielerin. Sebastian Zimmler findet sich sehr langsam in seine Rolle, ihm zur Seite die ausdruckstarke und präsente Christiane von Poelnitz. Iphigenias Zwiespalt wird dramaturgisch in zwei Rollen getrennt: Die jugendlich-naive, hochbegabte Tochter versprüht anfangs Optimismus und Hingabe, ihre seelische Verletzung zeigt sich in ihrem Double. Rosa und Oda Thormeyer verkörpern gekonnt beide Aspekte. Helena (Lisa-Maria Sommerfeld), die sexbesessene Gattin des Menelaos sorgt für spektakuläre Einlagen, ihre Rolle als Iphigenias Freundin hätte mehr Facetten verdient. Orest ist als Kind zu sehen, der gegen seine Schwester aussagt – keine Spur eines Konflikts mit seinen Eltern. Menelaos (Stefan Stern) gewinnt als Täter zunehmend an Kontur.

Im Großen und Ganzen gelingt dem Ensemble über weite Strecken eine intensive Auseinandersetzung mit dem Inhalt, auch wenn dieser nicht über gängige Klischees hinauswächst.

Doch Bednarczyk will mehr Moral: Sie nimmt nun die Figur des Orest, der bislang nur als Kind in Erscheinung getreten ist, thematisiert den mythologischen Muttermord und stellt diesem den Missbrauch Iphigenias gegenüber. In der griechischen Mythologie hat Klytaimnestra diesen Tod durchaus verdient – sie ermordet Agamemnon gemeinsam mit ihrem Liebhaber, ihre Tochter Elektra fordert daraufhin Orest auf, ihren Vater zu rächen. Im aktuellen Stück misslingt der konstruierte Brückenschlag.

Der zweite Teil zeigt Iphigenia auf Aulis, einem Ferienressort. Toas tritt als Sekt trinkender Inhaber auf, seine Funktion im Stück ist nicht nachvollziehbar. Nach einer Umbausequenz auf der Bühne, in der das Publikum den Saal nicht verlassen darf (keine Pause), trifft Iphigenia auf den nun erwachsenen Bruder Orest. Sie erkennen einander, er gesteht ihr seine Tat. Wasser und Fegefeuer als Special Effects helfen zu diesem Zeitpunk leider nicht mehr über die vielen Schwächen der Inszenierung hinweg. Das Publikum quittiert das späte Ende nach zweieinhalb Stunden mit erschöpftem Applaus.

Fazit: Joanna Bednarczyk und Regisseurin Ewelina Marciniak verabsäumen es mehrfach, die Geschichte(n) stringent zu erzählen. Euripides und Goethe hatten es verstanden. Diesmal wurde zu viel gewollt und alles verspielt. Schade drum.

***

Eine Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg.
Noch zu sehen bis 28. August 2022.
Tickets & Infos: www.salzburgerfestspiele.at/

Foto: Salzburger Festspiele / Krafft-Angerer

 

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