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Buch des Monats Romane

Roman des Monats April

Tanja Paar: “Die zitternde Welt”.
Haymon: Innsbruck-Wien 2020

Wie es ist, wenn ein Rumpeln durch die Welt geht und sämtliche Pläne durchkreuzt, erleben wir gerade. Doch das Corona-Rumpeln ist nichts im Vergleich zum Beben, das vor über 100 Jahren die politische Ordnung in Europa aus den Angeln gehoben hat. In dieser Zeit rund um den Ersten Weltkrieg spielt der Roman „Die zitternde Welt“. Die Autorin Tanja Paar macht uns darin mit der Familie des österreichischen Eisenbahningenieurs Wilhelm bekannt, der in Anatolien an der Bagdadbahn baut – jener 1899 in Angriff genommenen Strecke, die Berlin und Bagdad miteinander verbinden sollte.

Im ersten Teil des Buches steht Wilhelms Frau Maria im Mittelpunkt: Es geht um ihre Affäre mit dem Französischlehrer ihrer Söhne und um das Familienleben im anatolischen Hochland, wo die Österreicher zur begüterten Elite zählen. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, verlässt die Familie Anatolien in Richtung Donaumonarchie. Die mittlerweile erwachsenen Söhne Hans und Erich, über denen das Damoklesschwert der Einberufung in die osmanische Armee schwebt, schlagen sich mit falschen Pässen nach Europa durch. Der eine, Hans, kommt um. Der andere, Erich, kehrt nach dem Krieg traumatisiert und morphiumsüchtig in seine Heimat Türkei zurück. Die Eltern vegetieren in Wien in einer kleinen Wohnung dahin – der kranke Vater als einfacher Eisenbahner, die Mutter als verbitterte Frau, die den sozialen Abstieg nicht verkraftet. Erich ist die Hauptfigur im zweiten Teil des Romans.

Tanja Paar entwirft ein schillerndes Familienbild voller Risse und Brüche, das zugleich die historischen Verbindungen zwischen Europa und dem Nahen Osten in Erinnerung ruft. Vor dem Hintergrund der jüngsten Kriege im Irak und in Syrien lässt sich „Die zitternde Welt“ auch als Parabel auf manche Schieflage in unserer heutigen Zeit lesen. Empfehlenswert.

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