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Tonträger des Monats Ö

Hey Leute, das ist der Wahnsinn. Wieso erscheinen so enorm viele heimische Platten in diesen Wochen? Steht Weihnachten schon wieder vor der Tür? Gilt es, die kurze Phase bis zum nächsten kompletten Lockdown zu zelebrieren? Eh voll super, aber wir werden sicher wichtige Bands vergessen, die uns für immer hassen werden. Bleibt locker, schickt uns eure Platten und wir besprechen sie im Jänner, wenn dann wieder Flaute ist… Um mit dem enormen Andrang zurecht zu kommen, haben wir uns zuerst auf die Grazer Szene konzentriert. Dazu gibt es ein tierisches Album aus der Provinz. Zwei Scheiben aus Wien. Und eine von imaginären Inseln aus der halben Welt. All das schön alphabetisch geordnet…

BABELKINDER: “Babelkinder”, Cooks Records VÖ: Oktober 2020

“I spüüüü gern Tennis mit dir, Denise…”, ja so kann man das natürlich auch angehen. Der Fröbelpark samt “den Kids aus der Modellschul” wird auch hingebungsvoll besungen. Rumpelig, heiter, locker aus der Hüfte. “Grazer Indiepop und Country”, sagt die Band selbst. Country? Echt? Die markanten Drums spielt Rainer Binder-Krieglstein, der sich für die Bandfotos ein breites neues Portfolio an Mimik zugelegt hat. Der Witz ist: Die Platte macht einfach ungehemmt Spaß. Ohne die bescheuerte ironische Überheblichkeit, die solchen Projekten sonst gerne mal innewohnt. Aber hier: Niente. Da darf sich “Malta” auf die Zeitschrift “Falter” reimen, der Tiger und der Löwe diskutieren über fleischlose Ernährung und es gibt sogar noch gute Partys. Im Dorf Graz ist wieder alles in Ordnung. Jetzt möchten wir nur mehr den Covidl loswerden und den Babelkindern hemmungslos im Café Wolf zujubeln. Bitte! Danke!

CLARENCE WOLOF: “Island Sessions”, Alean Rikod, VÖ: 14. 11. 2020, Doppelvinyl , CD, Download

Es folgt ein weiter Sprung. Musikalisches Insel-Hopping ist das Thema. Hinter dem mysteriösen Pseudonym Clarence Wolof darf man den Steirer Wolfgang Temmel vermuten. Maler, Multi-Künstler. Und eben auch Ukulele-Spieler und begeisterter Bandleader. Immer wieder bei immer neuen Projekten. Am Haubentaucher wurde schon manches davon abgefeiert. Und so gehört es sich auch diesmal. Die Platte, die als limited edition im Kombipack mit farbenprächtigen Karten und in einer super-limited edition mit Digiprints von Temmel erscheint, ist ein musikalisches Feuerwerk. Die Reise beginnt auf “Fridom Aelan”, führt weiter auf die “Isla Favela” und ganz am Ende stranden wir auf “Sentinel Island”, blöderweise einer Insel, die kaum jemand wieder lebend verlässt. Es ist dies tatsächlich Welt-Musik und zwar im besten Sinne des Wortes. Allerlei Einflüsse von Jazz bis karibischen und arabischen Sounds lassen sich festmachen. Tuba, Oud, Steel Guitar mischen sich zu Percussion und Temmels Ukulele.

So an die zwei Jahre Arbeit mit einer Big Band, die keine war, weil alle Stücke verstreut über die Weltgegenden (naja, primär über Bundeslandgrenzen hinweg) eingespielt wurden. Mit an Bord auf dieser imaginären Reise sind Local Heroes wie Christian Bakanic, Richie Winkler, Peter Rosmanith oder Stefan Gfrerer. 12 Inseln, 12 Stücke. Leider gibt es das ganze derzeit nicht wie geplant live. Aber auf Doppel-Vinyl ist auch schön!

FACELIFT: “Lost in the dust”, Pate Records, VÖ:  6. 11. 2020

Während die ganz oben genannten Babelkinder als Band relativ frisch im Geschäft sind, gibt es wohl kaum eine Truppe in Graz, die so lang und so erstaunlich fit durchgehalten hat: Facelift, das ist Rock, der uns immer ein wenig an die deutschen Jingo de Lunch erinnert, aber die hat sicher schon jede/r vergessen. Die neue Platte ist ein Geburtstagsgeschenk der Facelifts an sich selbst. 25 Jahre! Das Album ist erfreulicherweise aber kein Blick zurück, sondern bringt Neues, bislang noch Unveröffentlichtes und ein paar Nummern aus der „Best-of“-Kategorie. Der Bass war schon immer wichtiger als bei anderen Bands, der Sound samt markanter Stimme von Andrea Orso-Hödl ist eine Konstante, da wird sich auch in den nächsten 25 Jahren nicht dramatisch viel ändern. Die Partie hat über 1.000 Gigs gespielt und kann auch auf “Lost in the dust” ihre solide Klasse voll ausspielen. Herzlichen Glückwunsch!

 

KRAWAULI: “Als ich erwachte”, Vollmond Records, VÖ: Oktober 2020

Krawauli, das ist der Grazer Kurt Gaulhofer. Einer, der seit vielen Jahren seine eigenen musikalischen und poetischen Wege geht. Immer mal wieder mit einem leichten Schlenker hin zur Pop-Hymne, dann im nächsten Moment mit einem reduzierten Sound, bei dem ein Instrument schon den Unterschied macht. Die neue Platte ist ein  Kleinod voller Gitarren, Cello-Klänge und verspielter Keyboards, das man nicht nebenbei “konsumieren” sollte, sondern das Ruhe rundherum braucht. Die Natur und die Zwischenmenschlichkeit werden in elf Songs besungen und bespielt. Verwechslungsgefahr ausgeschlossen, das werden nicht nur Eingeweihte rasch erkennen. Beeindruckende Youtube-Aufrufe und sehr fesche Grafik!

LES MACHINES MOLLES: “The Fox And Other Stories”, pumpkin records, VÖ: Oktober 2020, LP/CD

Wir bleiben in der Tierwelt. Aus Käfern werden fliegende Brummer. Aber langsam: LMM, das ist Wolfgang Pollanz. Den kennt man hier wie anderswo als umtriebigen Label-Boss, Verleger, Literaten und Förderer verschiedenster Talente. Musikalisch war es zuletzt eher ruhig rund um ihn, die letzte Platte von Les Machines Molles erschien vor fast einem Jahrzehnt. Mit der Ruhe ist jetzt Schluss, denn “The Fox and Other Stories” ist zwar naturnah, aber eben doch eindeutig tierisch. Insekten, Wölfe, Hendln, Schweinderln und allerlei anderes Getier (leider keine Wasservögel!) werden da gesampelt, dass es nur so eine Freude ist. Ein origineller Ansatz, der sich super in der Disco machen würde. Sagt einer, der mal Haubentaucher-Geräusche im T(h)eatro abspielte um 2.30Uhr in der Nacht. Schön übrigens auch das eine oder andere Wortspiel: “Whale meet again”. “The Fox” schließlich, der Titelheld auf dem Cover ist ein bombastisches Stück Filmmusik, das nicht zuletzt an den alten Fuchs Johnny Depp und seine Piraten der Karibik erinnert. Ein verschmitztes Album, das es faustdick hinter den Katzenöhrchen hat. Wir rechnen mit Airplay – auf Radio Universum.

PROTESTANT WORK ETHIC: “My Idea Of Fun”, Konkord, VÖ: 30. 10. 2020

“Cirque de Soleil für Ohren”, der Pressetext haut schon mal in die Vollen. Naja, wir würden es anders versuchen: Diese Platte ist mindestens drei in einem. Da ist die hinreißende Singer-Songwriter-Schiene, immer wieder durchbrochen von gar seltsamen Zwischentönen. “Jeder Song ein eigener Charakter”, okay, lieber Pressetexter, da kommen wir einander schon näher. Was gibt es hier nicht alles zu hören – und vieles davon gleichzeitig. Dabei macht die Platte durchaus den Eindruck eines Konzept-Albums. Weil nämlich Mastermind Simon Usaty ein verdammtes Genie ist, das solche Banausen wie wir eh nie ganz verstehen werden. Aber bewundern hilft. Und am Ende hat sogar das mit dem Zirkus seine Berechtigung. Eine wunderbare Sache, die sich mit verschrobenen Großmeistern wie Tim Buckley oder auch den komplexeren Werken einer Polly Jean Harvey messen darf. Wow!

Foto: Protestant Work Ethic / Werner Kitzmüller

PS: Wir verlosen 1 CD von Protestant Work Ethic! Schick uns ein E-mail an office@haubentaucher.at bis 20. 11. 2020 um 20.11 mit Betreff: “My Idea Of Fun”.

WIENER BLOND: “Bis in der Früh”, crowd & ryben records, VÖ: 13. 11. 2020

Verena Doublier und Sebastian Radon ist ein echtes Wiener Album gelungen. Die Vokaaale werden ordentlich in die Länge gezogen. Die Musik schließt an eine reiche Tradition ein, zu der man Neuwirth, Molden und viele andere zählen kann. Die zwölf Nummern pendeln dabei zwischen Eleganz, Lässigkeit und leichter Wurschtigkeit, zwischen Schwung, Charme und trockenem Schmäh. Liedermacher-Attitüde trifft Pop. Beim Amadeus waren sie heuer in der Kategorie Jazz/World/Blues nominiert, was irgendwie himmelschreiender Blödsinn ist, aber letztlich auch jedem egal sein wird. Denn: Das ist nix World, das ist Wööööd, eine Platte, die einen perfekt durch den Wiener Abend begleitet. Zur Not bis Amstetten. In Reisepatscherln. “Bis in der Früh”, auf das herrliche Feeling, wenn hinter dem Naschmarkt wieder die Sonne aufgeht, kann man sich doch zumindest schon wieder freuen. Auf Live-Konzerte der beiden auch. Cheers!

 

 

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