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Sozialismusbücher des Monats

Anton Pelinka: „Die Sozialdemokratie. Ab ins Museum?“ Leykam* Streitschriften 2020
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Adrian P. Kreutz: „Sozialismus heute? Neue Perspektiven für ein Schreckgespenst.“ Edition Konturen 2020

Spaßiger Zufall. Zwei sehr übersichtliche Bücher im beliebten „Ich-klage-an“-Format. Das eine von einem Routinier (Pelinka ist Jahrgang 1941), das andere von einem Newcomer (Kreutz wurde 1994 geboren). Der eine lehrte lange in Innsbruck, aber auch in New Delhi, Budapest und Harvard. Der andere promoviert laut Klappentext in Oxford.

Und gleich vorweg: Ja, wir kennen den Unterschied zwischen Sozialismus und Sozialdemokratie. Das ist nicht das Thema dieses Vergleichs. Es geht zu Beginn auch gar nicht um das große Ganze. Sondern um eine kleine Formsache: Das Buch der Konturen ist quasi im Querformat zu lesen, sehr originell, aber auch recht wenig „user-friendly“. Pelinkas Buch hingegen hält man aufrecht, man hätte sich als Leser allerdings den einen oder anderen Zwischentitel gewünscht.

So in etwa.

Wichtiger ist aber bei beiden Kampfschriften der Tonfall und die Haltung. Der junge Herr Kreutz haut gewaltig auf den Putz und meint, es sei an ihm, den Sozialismus zu retten. Dabei schleudert es ihn das eine oder andere Mal aus der Kurve. Ein Schlüsselsatz: „Zentral für dieses Projekt ist es, Feminismus, Multikulturalismus, Umweltschutz, Anti-Rassismus, Anti-Ableismus (gegen Behindertenfeindlichkeit), Anti-Speziesismus, LGBTQ+ und Minderheitenrechte ganz exklusiv dem radikalen Sozialismus zuzuordnen, um nicht noch tiefer in den Sumpf des progressiven Liberalismus zu versinken.“

Das ist natürlich starker Tobak, man könnte auch sagen: Da verirrt sich gerade einer argumentativ im Sumpf. Aber keine Sorge, er vergisst in der Folge ohnehin weitgehend auf die Vereinnahmung von Thunberg und Co. und konzentriert sich auf die gängige Literatur.

Mit all den Zitaten von Marx, Hegel, Kant und Sartre wird die Rettung des Sozialismus allerdings eher nicht gelingen. Und mit rätselhaften Sätzen wie: „Man sollte nie zu bequem sein, es sich bequem zu machen“, auch nicht. In der Folge treibt es den Autor in seinem „kleinen Pamphlet“ in die Welt hinaus. Der Kommunismus in Indien will nacherzählt werden, die Revolution in Mexiko würde jetzt auch gerade gut passen. Das geht sich natürlich mit dem Umfang und dem Format niemals aus, aber macht ja nix. Denn der Autor ist schon im Land der aufgehenden Sonne – und zwar beim Friseur.

„In Japan gibt es ein Wort dafür, wenn man nach einem Haarschnitt schlechter aussieht als vorher: age-otori. Wenn ich mir die linke Politik der letzten Jahre ansehe, besonders mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte und Repräsentationsfrage, dann bleibt mir nur eines zu sagen: age-otori.“

Cooler Gedanke, den Kreutz dann noch ein paar mal abwandelt. In Summe aber fragt man sich, wo er mit dieser politikwissenschaftlichen Seminararbeit hin will. Eines kann man ihm dabei allerdings nicht vorwerfen: Mangelndes Selbstbewusstsein. Denn nicht nur hat der junge Mann eine Million Fremdwörter in das Büchlein getippt, er schüttelt auch locker Sätze wie diesen aus dem Ärmel: „In der soziologischen Literatur ist das Konzept der Prekarität nicht gut umfasst.“ Na servus! Und was bleibt: Ein Appell, den Sozialismus als Experiment neu zu denken. Mal sehen, was dem Kollegen Pelinka da einfällt…

Rot-Grau-Rot

Der sieht seine „Streitschrift“ als „Gratwanderung zwischen verschämter Liebeserklärung und kaum verborgener Kampfansage“. Und beginnt gleich mit einer klaren Distanzierung von der „Diktatur des Proletariats“ sowjetischer Prägung. Da wäre Kreutz aus anderen Gründen vermutlich noch mit von der Partie. Dann allerdings trennen sich die Wege. Pelinka liefert nämlich in der Folge Argumente, warum „wir die Sozialdemokratie mögen müssen“, zeigt aber auch gleich klare Zeichen der Desillusionierung, der Ent-Täuschung. Dabei geht es schnurstracks von Kreisky in die Gegenwart. Zum Widerstand der alten Parteigranden gegen Rendi-Wagner etwa. Oder zum Verschlafen vieler gesellschaftlicher Entwicklungen.

Dass die Sozialdemokratie in weiten Teilen Europas und der Welt nur mehr mit sich selbst beschäftigt ist, schildert Pelinka eindrücklich. Und er liefert als Gegenmittel Rezepte, die auch nicht wirklich verwundern. 1. Wahlen gewinnen. 2. In die politische Mitte rücken, um tatsächlich mehrheitsfähig zu sein. Aber führt nicht genau diese Mittelposition in ein graues Mischmasch, das der Autor an anderer Stelle kritisiert?

Fest steht für Pelinka: Ohne Sozialdemokratie sind wir arm dran, hilflos dem Trumpismus und dem Machthunger Moskaus und Pekings ausgeliefert. Erfreulicherweise weiß der Autor selbst, dass dieser Anspruch eine gewaltige Überforderung darstellt. Die SPÖ, egal ob stark oder schwach, zerstritten oder einig, „wird wohl auch in Zukunft der Logik kurzfristigen Taktierens folgen müssen. Große Entwürfe sind zum Warten verurteilt.“

Genosse Godot, bitte!

Erfrischend an Pelinkas Streitschrift ist einerseits die Verständlichkeit im Gegensatz zum Geschwurbel des Kollegen Kreutz, andererseits auch das klare Benennen der Probleme. Die Männerbünde etwa (Freundschaft, Genosse Doskozil), die „Mythologisierung der Basis“, die eh schon zu einem guten Teil bei den Wahlen daheim bleibt oder gar dem Herrn Kickl nachrennt, der immer noch hoch gehaltene „Opfermythos“ aus den 1930er Jahren. Daher fordert der Autor auch „ein klares Profil“. Ob das mit dem von ihm vorgeschlagenen Weg in die Mitte zusammengeht?

Eine Lösung sieht Pelinka dann auch in der Rückbesinnung auf alte Tugenden. Auf die internationale Ausrichtung, wie sie ein Kreisky mit seinen schwedischen und deutschen (und palästinensischen!) Freunden lebte. Gerade in Hinblick auf die Pandemie fordert der Politikwissenschaftler eine Perspektive, die nicht an den Landesgrenzen endet. Und dann brät Pelinka dem jungen Kollegen Kreutz eine drüber (ohne dies zu wollen, darf vermutet werden): „Unter demokratischen Rahmenbedingungen sind Debatten über die Revolution ein sinnentleertes Glasperlenspiel.“

Damit die SPÖ nicht im Museum landet, hat der Autor letztlich ein etwas überraschendes Rezept zur Hand. Er empfiehlt die Orientierung an Kreisky. Inhaltlich, strategisch, aber auch was die persönliche Entschlossenheit angeht. Irgendwie lustig, dass heuer anscheinend ein inoffizielles Kreisky-Gedenkjahr ist.

Bleiben nur noch ein oder zwei kleine Probleme:

1. Wo sollte die österreichische Sozialdemokratie so ein politisches Jahrhunderttalent nehmen? Keine Witze jetzt, bitte!
Und 2. wo sind die internationalen Partner, mit denen man eine vernunftgetriebene, zukunftsorientierte und dann auch noch sozialdemokratische Politik betreiben könnte?

Wer die Antwort weiß, schickt sie an office@spoe.at

 

* Transparency rules: Der Herausgeber des Haubentauchers arbeitet beratend für den Leykam Verlag, hatte mit der Entstehung dieses Buches allerdings nichts zu tun.

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