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Buch des Monats Sachbücher

Sachbuch des Monats: Kreisky vs. Kreisky

Das hatten wir auch noch nie hier auf dem Haubentaucher. Zwei Bücher – ein Thema. Heinz Wassermann, Politik-Experte der FH JOANNEUM in Graz, hat sich zwei sehr unterschiedliche neue Bücher über den einstigen “Sonnnenkönig” der österreichischen Sozialdemokratie vorgenommen…

Ulrich Brunner: “Lernen S´ Geschichte, Herr Reporter!”, ecoWin 2020
vs.
Christoph Kotanko: “Kult-Kanzler Kreisky”, ueberreuther 2020

Bruno Kreisky, diese 365-Tage-24-Stunden-Politikmaschine, war zweifelsohne ein sowohl die Republik als auch die SPÖ, ein sowohl politisch als auch medial prägendes Phänomen – und der „Alte“, der „Medienkanzler“, der „Sonnenkönig“, der „terrible Simplificateur“, der „Zampano“ gibt auch 30 Jahre nach seinem Tod gleich mehrfach keine Ruhe. Christian Kern und Pamela Rendi-Wagner beton(t)en bei jeder (un)passenden Gelegenheit, Kinder der Ära Kreisky, der Kreisky-Jahre oder der guten SPÖ-Jahre zu sein.

Kreisky war im wahrsten Sinne des Wortes eine sowohl politische als auch mediale Erscheinung. Über keinen österreichischen Politiker – womit wir wiederum beim Phänomen Kreisky wären – gibt es eine dermaßen umfangreiche, regalmeterfüllende Literatur, die sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Das belegen nicht nur die zwei aktuellen Bücher von Ulrich Brunner und Christoph Kotanko, das zeigte sich bereits 1972, als gleich zwei Büchern von Journalisten den „Staatsmann“ Kreisky würdigten. Eine Facette des Phänomens Kreisky besteht auch darin, dass er offensichtlich journalistisch noch nicht, wissenschaftlich hingegen schon abgearbeitet ist, wobei die wissenschaftliche Literatur über ihn alles in allem bemerkenswert gering ist.

Bruno Kreiskys Präg- und Strahlkraft nur auf dessen Kanzlerjahre zu reduzieren, greift viel zu kurz. Es waren nicht nur die von Brunner penibel herausgearbeiteten tiefen Kränkungen und Verletzungen, die ihn von Kindheit an begleiteten, es war auch die viel zu oft übersehene Prägung des 1911 in der Agonie der Monarchie Geborenen. Nicht zufällig ließ sich Kreisky, der dem „Habsburg-Kannibalismus“ (Günther Nenning) der SPÖ immer skeptisch gegenüberstand, vor einem Gemälde des „Reform-.Habsburgers“ Joseph II. ablichten.

Sowohl Brunner als auch Kotanko – beide Bücher sind nicht nur hervorragend geschrieben, sie überzeugen auch durch die gelungenen wissenschaftlichen Einbettungen – betonen, dass ohne die Kanzlerschaft des ungelenk-missionarischen Josef – schon wieder ein Josef! – Klaus, dessen (nicht zuletzt bildungspolitische) Reformagenda und Ignoranz gegenüber dem in Richtung links ausschlagenden Zeitgeist die Reformära Kreisky, die ab Mitte der 1970 nicht nur ökonomisch bedingt spürbar an Elan und Dynamik verlor, nicht denkbar gewesen wäre. Der Salzburger Historiker Ernst Hanisch hat diesen Abschnitt treffend als „Ära des sozialliberalen Konsenses“ bezeichnet. Historisch und geografisch weiter gespannt: Kreisky, der mit Willy Brandt und Olof Palme die international einflussreiche SI-Troika bildete, waren zwar glückliche Erben der „Goldenen Jahre“ (Eric Hobsbawm), eines historischen Zeitfensters, in dem alle Pfeile nach oben zeigten, aber – das Glück des Tüchtigen – diese drei Charismatiker wussten nicht nur die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, sie gossen sie als Gestalter sowohl in Programme als auch in konkrete, mehrheitsfähige Politik.

Die Stärke beider Bücher liegt darin, Kreisky weder zu verklären, noch ihn in Grund und Boden zu schreiben (wozu bei Brunner – „Lernen S´ Geschichte, Herr Reporter“ – durchaus Grund bestanden hätte), sondern ihn zeithistorisch-politisch aber auch persönlich zu kontextualisieren. Abseits aller gerechtfertigten Würdigungen verweisen sie vor allem auf das Team (so der treffende Wahlslogan der 1971er-Wahl) um Kreisky Hannes Androsch, Christian Broda und Hertha Firnberg (und im Hintergrund Anton Benya), die Reformen und Politikfelder bis Mitte der 1970er maßgeblich und gelegentlich gegen Kreiskys Willen vorantrieben, auf seinen ausgeprägten Narzissmus, seine mangelnde Menschenkenntnis, seinen zunehmend problematischen Gesundheitszustand, seine verheerende Verharmlosung des Nationalsozialismus (bei gleichzeitiger Hyperthrophierung des „Ständestaates“), seine wirtschaftspolitische Inkompetenz, die sein überforderter Nachfolger Fred „Es ist alles sehr kompliziert“ Sinowatz als „VOEST-Debakel“ (Franz Sommer) erbte, und seine Instinktlosigkeit gegenüber neuen Themen und gesellschaftlichen Strömungen, wie die sich herausbildende tendenziell postmaterialistische Umwelt- bzw. Ökobewegung.

Lohnend wäre für beide Autoren zwei Blicke gewesen: Zum einen in „Die Zukunft“, wo die Wahlanalysen Karl Blechas (der als empirisch-strategisches Hirn Kreiskys zu wenig gewürdigt wird) zeigen, dass es eben nicht nur die „ein Stück des Weges“ mitgehenden bürgerlichen Liberalen waren, die die SPÖ-Mehrheiten ermöglichten, sondern dass es der massive „Einbruch“ der „Roten“ am Land war, der die Wahlerfolge ermöglichte und sicherte. Zum anderen ist das Kreisky-Archiv in der Rechten Wienzeile ein wahrer (und wenig beachteter) Fundus an Meinungsumfragen, die nicht nur ein Licht auf die Kreisky-Nachfolge werfen, sondern ein unschätzbarer Fundus zur kollektiven Befindlichkeit der Österreicher der Kreisky-Jahre sind.

Zwar weisen Brunner und Kotanko – nicht zuletzt (beruf-)biografisch bedingt – unterschiedliche Zugänge zu ihrem Hauptprotagonisten auf, beide Bücher dürfen aber in keiner einschlägig-wohlsortierten (Privat-)Bibliothek zur österreichischen Medien-, Politik- und Zeitgeschichte (und nicht nur zur Kreisky-Geschichte) fehlen.

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Hier noch weitere Tipps zum Ein-, Weiter-, Wieder- und Auslesen:

Karl Blecha: Analyse einer Wahl (I). In: Die Zukunft, 5,6/1970. S. 5-10
Ders.: Analyse einer Wahl (II). In: Die Zukunft, 7/1970. S. 2-6
Ders.: Die großen Trends. In: Die Zukunft, 22/1975. S. 15-21

Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, Ueberreuter 1994

Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme, dtv 1998 (7. Auflage)

Paul Lendvai/Karl Heinz Ritschel: Kreisky. Portrait eines Staatsmannes, Zsolnay 1972

Viktor Reimann, Bruno Kreisky. Das Portrait eines Staatsmannes, Molden 1972

Franz Sommer: Das VOEST-Debakel, Orac 1987

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