Alena Mornštajnová: „Hana“, Wieser Verlag, 2020. Aus dem Tschechischen übersetzt von Raija Hauck
Geschichten so zu erzählen, dass sie die Lesenden nicht mehr loslassen, ist das Geheimnis guter Bücher. Diese Geschichten haben die Eigenschaft, eine Allianz mit den Lesenden einzugehen und in ihnen nach zu klingen.
„Hana“ von Alena Mornštajnová gehört zu dieser Kategorie. Die Erzählung beginnt aus der Perspektive von Mira, über die wir lernen, dass Ungehorsam den Erwachsenen gegenüber lebensrettend sein kann. Geradezu trotzig fordert sie die Lesenden auf, das Buch auf Seite zwei wegzulegen, wenn sie anderer Ansicht wären.
Wir trotzen auch und lesen weiter. Und schon fängt die Geschichte an, sich zu entfalten. Wie eine riesige Lebenskarte, zusammengefaltet und wieder gefaltet bis zu einem dicken, winzigen Stück Papier, mit unendlichen Schichten und Brüchen hält die Leserin die Geschichte in der Hand und klappt eine Schicht nach der anderen auf, unfähig, das Buch aus den Händen zu legen. Denn mit jeder Schicht, die in dieser Geschichte freigelegt wird, eröffnet sich eine neue Dimension: Ungehorsam führt zu Bestrafung, deren Konsequenz ein Ausschluss von einer Feier ist, und eben dieser Ausschluss besiegelt das Überleben der einen Protagonistin, Mira. Sie berichtet aus ihrer Sicht über eine Kindheit, die geprägt ist von Unglück, Ablehnung und einer rätselhaften Tante, Hana.
Der Roman, gegliedert in drei Teile, erzählt in den ersten beiden Teilen aus Sicht der jüngsten Generation, dargestellt von Mira. Beginnend in den fünfziger Jahren beschleunigt die Geschichte zuerst in die Zukunft und endet dort, zehn Jahre später. Der zweite Teil blickt zwanzig Jahre zurück. Und entfaltet in der beschaulichen tschechischen Kleinstadt die gesamte Tragweite des Antisemitismus und der Judenverfolgung auf einer unerwarteten und unmittelbaren persönlichen Ebene. Doch erst der dritte Teil, der nun endlich Hana, die Romantitelheldin zu Wort kommen lässt, spricht über das Unaussprechliche, Enttäuschung, Verrat, Rückkehr. Und schließlich die Hoffnung, die sich als leise Begleitmelodie in der Geschichte verbirgt und sich nicht töten lässt.