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Leben mit dem Virus. Teil 2: Tiflis

Das Corona-Virus hat die Welt in weiten Teilen lahm gelegt. Wir wollen zeigen, was abseits der medialen Schlagzeilen vor sich geht. Teil 2: Eine Leserin aus Georgien berichtet.

Tiflis.
Mein Klopapier heißt Biertschickschokokaffee.

Strom. Gas. Wasser. Alle da. Auch an gesunden Tagen ein neuerdingses Morgenritual, immer für eine Überraschung gut. Jetzt eine vermaledeite Ahnung für kommendes, denn Gerüchte schwirren schneller als Blütenstaub. Ausgangssperre. Militäreinsatz. Ausfälle. Besser Bargeld beheben. Nein, nur ein bisschen. Bargeldlos zahlen ist die Zukunft. Wenn Cash, bloß wo verstecken? In die alte Socke, die in den Turnschuh, aber nicht in den „Just do it!“, den stehlen sie ja als erstes. Falls ich dann einmal außerhalb der Wohnung bin. Und das sollte ich wohl, denn hamsterkaufen höre ich allerorts als Angebot der Stunde, also auf.

Am schleunigsten sind die allgegenwärtigen Bettler von der Straße verschwunden. Als nächstes packen die fliegenden Händler ein, schließen die kleinen Läden in den Fußgängerunterführungen. Restaurants, Bars sperren im Alleingang. Ohne staatliche Anweisung. Die Regierung schickt derweil, Ende Februar beim Stand von drei Infizierten, alle Schüler in verfrühlichte Frühlingsferien. Museen, die Oper, Galerien folgen von sich aus.

Kurzum: Die Shota Rustaveli Avenue gleicht gemeinhin einem motorisierten Ameisenhaufen im hormonellen Ausnahmezustand. Und das rundum, seit ich hier bin. Seit sechs Monaten. Man badet in Menschen, wohin man auch tritt. Zebrastreifen sind lustige weiße Striche am Boden, ein Motorrad hat immer Vorrang. Auch am Trottoir.

Im allerbesten Slalomstil schlängle ich mich heute an den drei, vier, elf Anderen vorbei. Prä-Kippstangen-Ära, quasi. Ich bin alles. Ruhig. Allein. Vernünftig. Beklommen in einem fremden Land, dessen Sprache ich kaum spreche, geschweige denn, verstehe. Informationen bringt das Internet. Wenn es nicht gerade ausfällt.

In Auswanderer-Gruppen wird von Engpässen aller Art berichtet.

In der Auslandsösterreicher-Gruppe machen noch derbe Späße die Runde, die wichtigen Nachrichten gehen unter. Wagt man Widerstand, lerne ich, dass sich der Österreicher durch Humor auszeichnet, sonst wäre er ja Deutscher. Dann keimt Panik auf. Zu wenige Tests, gar keine, in Wahrheit, wo kann ich jetzt nur mein Auto anmelden, kann ich bei der zu Hause vermieteten Wohnung Eigenbedarf anmelden? Gefolgt von herzallerliebsttiefer Trauer, bald ein Billiglebenskostenland verlassen zu müssen. Während sich alle darüber ereifern und derbreligiöse Kritik an einem Land üben, in dem sie zu Gast sind, versuchen meine neuen Freunde in den 80ern mehrmals nach Hause zu fliegen. Der vierte Husarenritt gelingt. Weil sie schlicht und ergreifend hartnäckig sind. In Eigenregie. Und nach Hause wollen. Großangelegte staatliche Rückholaktion, lese ich in österreichischen Zeitungen.

Und schon sind 32 Minuten Fußmarsch zum Lieblingssupermarkt vorbei. Hinein ins Vergnügen.
Eventuell bin ich ein klein wenig enttäuscht, dass es keine Schlägereien, Gerangel, unflätige Tätlichkeiten gibt.

Der Faktencheck am Klopapierregal ergibt, dass ebensolches noch vorrätig ist, sogar im Angebot. Die feuchte Variante ist jedoch geplündert, was mich ins Jammertal stürzt, aus dem ich flugs aufgrund der erhebenden Tatsache auftauche, dass Handseife wohl der Renner der Saison ist.

Und schon frage ich mich: Was kauft man eigentlich so als Hamster?

Still stelle ich mich in eine Ecke. Beobachte knattertonmäßig alle passierenden Einkaufswägen und komme nicht umhin festzustellen, dass es zwei Trends gibt:

A) Buchweizen, Erdäpfel, Reis, Zwiebel, Bohnen, Wein, Käse, Obst, Obst, Gemüse, Obst, Putzmittel.

B) Erdbeeren, Mayonnaise, m&m, Frühstücksflocken, Tiefkühlkost, Wasser, Sekt, Avocados, Wurst, Wurst, Würstel, Wurst, 17 Plastikpackungen Petersilie. Selbstverfreilich: Pasta, Klopapier.

Eine Schelmin, die Team A für Einwanderer hält, die sich ja hier Auswanderer nennen.

Eine, die noch immer ein Dings mit Supermärkten hat, aber auch mit Geschichte, die Team B als Einheimische identifiziert.

Revolutionen, Freiheitskämpfe, Kriege, Einmärsche, Kugelhagel, Mangel, Korruption, Armut, Überlebenskampf. Ein kurzer Abriss der letzten zwanzig Jahre für Georgier.

Ich favorisiere also die Vorstellung, dass Menschen, deren Leben und Existenzen nicht zum ersten Mal auf dem Spiel stehen, keinen Sinn in Panik sehen. Sondern schlicht tun, was zu tun ist. Mit Einsicht. Mit Zusammenhalt.

Derweil hyperventilieren Zentraleuropäer in warmen Wohnungen bei vollen Speisekammern, während sie sich eine Blubberbadewanne einlaufen lassen, um sich im Videochat Leuten, die sie die letzten drei Jahre nicht vermisst haben, möglichst entspanntsexy zu präsentieren und plaudern über die neuesten Trends in Sachen Gesichtsyoga.

Was soll ich machen? Mein Hirn galoppiert beim Gehen. Da kann ich gar nix dafür.

Acht Touristen sitzen im letzten geöffneten Kaffeehaus der Innenstadt lustig beisammen. Lachen. Umarmen sich. Trinken. Auf der anderen Straßenseite werden sie beobachtet. Kommentarlos. Aber ausdauernd. Eine junge Frau setzt sich ans andere Ende der Parkbank und hört einer leise vor sich hin weinenden, alten Frau zu, spricht beruhigend mit ihr. Drei erweißte Männer spazieren mit gut einem Meter Abstand voneinander ins Gespräch vertieft. Einer von ihnen hält liebevoll eine oft gehörte Langspielplatte mit Musik von Beethoven. Kate sitzt mit ihrem Mundschutz auch nicht mehr im halb in den Boden versenkten Zigarettenverkaufsbunker, in den sie aber lachend eilt, als sie mich sieht: „Hello Andrea, how are you? And today? One or two?“. „Five“, antworte ich, „you never know now.“ Dies scheint mir doch vernünftigere Vorratsplanung als Duschbad und Weichspüler, die in meinem Rucksack schon gelangweilt rangeln.

Wieder zu Hause. Ich verräume ein Potpourri aus Team A & B. Usurpiere mein unglaublich kostengünstiges Wlan. Höre österreichische Nachrichten.

Ich bin der tapferen Durchhalteparolen müde. Ich bin schon groß, ich kann Zeit mit mir verbringen. Manchmal verrückt gerne. Manchmal gelangweilt gar nicht. Falls so, lausche ich den Nachbarn. Muss ich, wenn ich am Klo sitze. Da hat´s was Kreatives mit den Rohren. Dunsthaubt die Wohnungsgenossin über mir ihren Zwiebelodeur, wabert der geschwind durch mein Badezimmer. Desselben gilt für Geräusche. Gelächter, streitende Kinder, aufgeregte Frauengespräche, aktivste Familienplanung mit zweitönigem Klangteppich, allabendliches Lauftraining pünktlich um 23 Uhr, Musik mit Überstimmenimprovisation.

Ich fühle mich nicht alleiner als sonst. Ganz im Gegenteil.

Es dunkelt. Licht ein. Knall. Glühbirne explodiert. Lampenschirm fällt. Scherben überall. Logischerweise. Kurzschluss. Ich muss lachen.

Selbst ist die Frau funzt heute nicht.

Mein Vermieter ist innerhalb von dreizehn Minuten mit zwei Freunden da. Einer von ihnen ist Elektriker. Sagt er. Während alle ihre Straßenschuhe anbehalten. Die Dritte im Bunde verlangt ein Glas Wasser und macht es sich unaufgefordert in meinem Lesesessel bequem, nachdem sie wohl die Sofalehne als zu ungemütlich empfindet.

Der Defekt wird repariert. Und ich lerne, dass ein kleines Glas Chacha – also die Sorte von Schnaps, die einer aus dem Stand gleich alle Kerzen ausblasen kann – in Begleitung einer Knoblauchzehe kein Schaden nicht ist, in Zeiten wie diesen. Am besten vor dem Frühstück, wohlgemerkt. Die glänzenden Augen aller Drei lassen mich vermuten, dass heute prophylaktisch vorgesorgt wurde.

Und weil der Reparateur ein guter ist, soll er doch morgen gleich auch noch die restlichen Mängel beheben, meint der Vermieter. Die, die seit Oktober anhängig sind.

Antwortreaktionstechnisch bin ich zu langsam. Fieberhaft putze ich aber jedwede kontaminierte Fläche, sobald ich wieder alleine bin. Drei Mal.

Am nächsten Tag versuche ich zu erklären. Warum ich das in zwei, drei, sieben Wochen erst haben will. Mein Vermieter versteht erst, als ich huste. Dabei hab´ ich mich im Geifer nur an der eigenen Spucke verschluckt.

So torkle ich also durch Zeiten, die Neugeborene auf ihren implantierten Chips abrufen können, während sie sich im Anflug auf den Kurzurlaub am Saturn befinden. Dann. Einmal. Sie lachen sich übrigens einen Mischwald bei der Anekdote, dass man ihren Vorfahren das richtige Händewaschen per Bildzuschaltung beibringen musste.

Text und Fotos: Andrea aka @momo130570

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