Otto Hochreiter und Sibylle Dienesch (Herausgeber): “Schau Graz! 426 Standpunkte zur Situation der Stadt”. Verlag Anton Pustet 2018
Seit 17. Mai und noch bis 10. September kann man im GrazMuseum Stadt schauen gehen. Fotografin Franziska Schurig hat bewusst einen umfassenden, durchgängig neutralen Blick auf die Stadt geworfen und dabei primär die Gegenden rund um Straßenbahn- und Bushaltestellen abgelichtet. Sehr nüchtern und in vielen Fällen auch sehr ernüchternd, was man da zu sehen bekommt. Zwar kennt man diese Orte, die oft eher Nicht-Orte sind, aber im Alltag geht man einfach rasch vorüber und schaut höchstens dann genauer hin, wenn etwas besonders absurd oder hässlich aussieht. Die Bilder kommen ohne jedes Faible für Ironie aus und sind dadurch in ihrer Fülle besonders stark und aussagekräftig.
Es wird allerdings Menschen geben, die schon ob ihrer Profession wenig glücklich sind mit dieser Schau. Den Touristikern wird es vermutlich einigermaßen egal sein, sie vermarkten in der Regel ohnehin nur die Innenstadt und sparen auch da alles aus, was allzu real ist und die Inszenierung stören könnte. Der Stadtplanung hingegen sollten diese Bilder sauer aufstoßen, zeigen sie doch auch ein massives Versagen – und zwar nicht in grauer Vorvergangenheit, sondern sehr konkret in der Gegenwart. Architektonische Qualität ist nur in minimalen Ansätzen zu sehen, etwa im Falle der Terrassenhaus-Siedlung. Die meisten Neubauten und Baustellen, vor allem in den Randbezirken, kann man nicht anders nennen als monoton, trist und hässlich. Die Frage ist: Wer ist dafür verantwortlich? Und wen stört das überhaupt?
Insbesondere im Begleittext der Herausgeber wird auch die nach wie vor gängige Fokussierung auf das Auto als Verkehrsmittel angesprochen, die in fast allen Teilen von Graz so viele Probleme mit sich bringt. Interessant ist auch das qualitative Gefälle vom Zentrum hin zur Peripherie, das der frühere Stadtplaner Heinz Rosmann in seinem Text sehr deutlich anspricht. Warum wird im 1. Bezirk und in der Uni-Gegend so vieles konserviert oder änspruchsvoll neu geplant, während es in großen Teilen von Straßgang oder Wetzelsdorf gleichzeitig aussieht wie in einem sub-urbanen Niemandsland? Der fachlich zuständige Stadtplanungschef Bernhard Inninger verschließt sich zumindest der Diskussion nicht, auch wenn in seinem Beitrag hauptsächlich um den heißen Brei herumgeschrieben wird. Dass es weder der Stadtpolitik noch ihm selbst in den vergangenen Jahren auch nur in Ansätzen gelungen ist, für mehr planerische und architektonische Qualität gerade im Wohnbau zu sorgen, thematisiert er – naturgemäß – nicht. Dabei würde sich ein Blick nach Wien lohnen, wo auch nicht alles Wonne und Grießschmarrn ist, aber immerhin klare Vorgaben für Mindeststandards sorgen und durchaus städtebauliche Visionen existieren, die mit soziologischem Wissen verknüpft werden.
Eine typische Grazer Auto-Straße voller Fadesse beschreibt Architekt Markus Bogensberger: Die Plüddemanngasse. Sie ist eine der wichtigsten Routen für Pendler, beherbergt immer mehr hingeklotzte Siedlungen, möglichst ohne Parterre. Denn ebenerdig gibt es hier nichts mehr zu sehen und nichts zu erleben, außer PKW-Kolonnen und Eingänge von Supermärkten. Bogensberger aber bleibt Optimist und sieht selbst für die Plüddemanngasse eine Möglichkeit zur grundsätzlichen Neugestaltung.
Eines steht außer Zweifel: Auch wenn man die Bilder als wenig erfreulich sieht, so ist die Ausstellung samt Buch ein wichtiger Beitrag zur Diskussion rund um die zweitgrößte Stadt Österreichs, die zuletzt einem starken Wachstumprozess unterworfen war. Das “Alltagsgesicht”, so Jens Dangschat in seinem Buchbeitrag, sollte von Politik und Bevölkerung nicht ignoriert, sondern in einem positiven Sinne weiterentwickelt werden. Das Buch endet mit dem Protokoll eines Spaziergangs, in dem Autorin Würz-Stalder zum Ergebnis kommt: “Graz könnte die ideale Stadt für Fußgeher/-innen sein! Vor allem, wenn sie andere Wege gehen.” Zur Nachahmung empfohlen.