Ach, Tagebuch. Da sitze ich nun im Herrenzimmer, kein Herr weit und breit. Das einsame Likörfläschen drüben am Sekretär ruft mir zu: Beachte mich nicht, ich bin gar nicht da. Und in meinem Kopf drehen und wälzen sich die Gedanken an das Gestern. Als ich im Studio der Zeit im Bild saß und das ganze Land an meinen Lippen hing. 1986, Tschernobyl. Und der junge strahlende Held Haider gegen den früh gealterten Steger. Das waren Zeiten. Wäre ich damals schon im richtigen Lager gestanden, was hätte ich für den Jörg nicht tun können?
Aber nein, ich saß im Dienste der Pressefreiheit und Menschenwürde im Studio und sagte vorbereitete Texte auf. Ursel, Ursel, wer wird sich denn so gehen lassen? Bist doch sonst kein trübsinniger Mensch. Die Strapazen der letzten Tagen haben mir wohl arg zugesetzt. Zur Entspannung schalte ich sicher nicht den Rotfunk ein, sondern lieber meinen Personalcomputer. Und gebe die folgende Adresse in mein Internetprogramm: http://www.mediathek.at/atom/136E824E-25E-0060D-000007B8-136D9DB6
Mein liebes Tagebuch. Wenn ich diese nach Orientierung und Halt suchenden Augen sehe, diese klare Stimme höre, dann möchte ich noch einmal so jung sein wie damals. Aber ich bereue nichts. Nicht die aufreibenden Momente mit der so genannten Österreichischen Volkspartei. Nicht das zähe Ringen um eine friedliche und saubere Innenstadt. Nicht den Wechsel zu meiner freiheitsliebenden freiheitlichen Partei, die mir zur zweiten Heimat geworden ist. Da bohrt sich eine Frage in mein Gehirn: Ob die Eltern von Norbert Hofer ihren Buben wohl nach dem Steger genannt haben?
Das Telefon reißt mich aus meinen Gedanken. Norbert, der Hofer Norbert natürlich, will mit mir unter vier Augen sprechen. Was hat er nur vor? Seit Tagen habe ich nichts von ihm gesehen und gehört. Auch von Kickl nicht und von Heinz Christian schon gar nicht. Die hecken irgendetwas aus, unter Garantie. Ob es mit der vermaledeiten Wahl des grünen Glimmstängels zu tun hat? Liebes Tagebuch, ich melde mich nach dieser Unterredung. Und mach dir keine Sorgen, es kann spät werden. Sehr spät.
Redaktioneller Hinweis: Bei Ursels Tagebuch handelt es sich um Satire. Alle mit Anführungszeichen versehenen Passagen sind Originalzitate von Frau Ursels Facebook-Seite.
Foto: “Starenkasten” von Eckhard Etzold, https://de.wikipedia.org/wiki/Philips_TD1410U_%28Starenkasten%29#/media/File:SW_Testbild_auf_Philips_TD1410U.jpg