„Minna von Barnhelm. Oder die Kosten des Glücks“, Schauspielhaus Graz
Das „Lustspiel“ von Lessing ist ein Klassiker, der schon im Original einen interessanten Mittelweg wählt zwischen Heiterkeit und Ernst, Liebe und Leid. Wir erleben die Zeit unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg. In einem Hotel treffen der Major von Tellheim (Sebastian Schindegger) samt seinem aufgeregten Diener Just (Thomas Kramer) auf die strenge Wirtin (Annette Holzmann). Tellheim ist ein Verlierer unter den Gewinnern. Er wurde unehrenhaft aus der Armee entlassen, hat eine Kriegsverletzung und kein Geld mehr, dafür aber einen Riesensturkopf, der es ihm unmöglich macht, Hilfe von seinem Gefährten Paul Werner (Simon Kirsch) oder seinem Diener anzunehmen.
Die Wirtin verweist ihn ob seiner Geldnot des Zimmers, das sie statt dessen zwei Damen anbietet: Minna von Barnhelm (Anke Stedingk) und ihrer Dienerin Franziska (Sarah Sophia Meyer). Aber ach: Minna liebte Tellheim schon vor dem Krieg und ist nun auf der Suche nach ihm. Als sie ihn trifft, flippt sie vor Freude fast aus, er hingegen spielt den trotzigen Loser bis kurz vor dem bittersüßen Ende.
Im Schauspielhaus Graz hat man das Stück gekürzt und deutlich bearbeitet. Die geografischen Bezüge wurden entfernt, die Dialoge gestrafft, aus einem Wirt wurde die sehr präsente Wirtin. Die Grundthemen aber sind dieselben wie zu Lessings Zeiten: Hält die Liebe auch bei einem sozialen Abstieg des Partners? Wieso verstehen sich manche (die feurige Franziska und der stürmische Paul Werner) auf körperlicher Ebene so prächtig, können aber kaum ein Wort miteinander wechseln? Wie geht man damit um, wenn man selbst vom strahlenden Helden zum verbitterten Verlierer wird? Und wie inszeniert man eigentlich ein Happy End ohne banal und kitschig zu werden?
Um es klar zu sagen: Anke Stedingk als Minna überstrahlt an diesem Abend alles. Sie überwindet die sensationelle Sturheit Tellheims, sprüht vor Energie und Liebe und sorgt dabei auch für reichlich komische Momente. In einer Szene spricht sie es deutlich aus. Sinngemäß zitiert: „Das ist ja doch eine Komödie“. Das Leiden Tellheims steht dem lange Zeit gegenüber. In der zweiten Rolle, die Sebastian Schindegger mit dem Glücksritter Riccaut bekommen hat, beweist er, dass auch er voller Witz und Schwung agieren kann. Das hätte gern ein paar Momente länger so gehen können.
Der sehr intensive Abend landet aber mit über zwei Stunden Dauer ohnehin an der Grenze dessen, was das heutige Publikum auszuhalten imstande ist. Grandios, wie zuletzt in schöner Regelmäßigkeit an diesem Hause: Die Bühne (Franziska Bornkamm und Selina Grasser), die alle Stückerln spielt bis hin zu einem Aufzug und ständig wechselnden Räumen.
Regisseurin Ulrike Arnold schafft es, mit dem durch die Bank zu lobenden Ensemble, ein ambivalentes Lustspiel auf die Bühne zu bringen. Komisch, aber nie platt. Hintergründig, aber nie überladen mit Gegenwartsbezügen. Am Premierenabend gab es viel Applaus und die Hoffnung, dass dieser Klassiker ein breites (vor allem auch junges) Publikum in seinen Bann ziehen wird.
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Zwei Anmerkungen noch:
Wir besuchten vorab die Einführung ins Stück und können dies nur empfehlen. Man bekommt einen guten Einblick in die Arbeit hinter den Kulissen und versteht auch manche Szenen, wie den Traum des Dieners Just, zu Beginn wesentlich besser.
Und dann wäre da noch das Bild zum Stück. Es ist Teil einer Aktion, die unter dem Titel „Scroll durch dein Leben“ den Kontakt zum Publikum suchte. Weit mehr als 400 Fotos wurden hochgeladen, darunter mit dem Postbus aus Steyr auch eines aus unserer Sammlung. Wir freuen uns, dass es als Motiv für die „Minna“ ausgewählt wurde.
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Weitere Termine:
12., 13. und 14. 11., 22. und 27. 11
7. 12., 8. 12., 19. 12. und 31. 12. (nachmittags und abends!),
16. und 17. 1. sowie 13. 2. 2025.
Tickets & Infos gibt es hier: schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Bühnenfoto: Anke Stedingk und Sarah Sophia Meyer, © Lex Karelly / Schauspielhaus Graz
1 Antwort auf „Lustspiel des Monats“
Warum kommt diese Rezi nicht auf Ö1? Klingt im Ohr gut geredet und fundiert. Gratulation. (Grundsätzlich war Lessing in jungen Jahren eher Angst und Qual.)