Theater im Bahnhof: „Spiel mir das Lied von Knittelfeld oder die Pubertät der FPÖ (2024)“
Selten war ein Stück des Theater im Bahnhof so nah dran am unmittelbaren politischen und sozialen Geschehen und zugleich an der Zeitgeschichte des noch jungen 21. Jahrhunderts. Bei der Nationalratswahl Ende September 2024 gewann in Knittelfeld, der einst tiefroten Eisenbahner-Stadt, die FPÖ satte 16,1 Prozentpunkte dazu und belegte damit klar Rang 1 mit insgesamt 37,61 %. Die einst so stolze Sozialdemokratie verlor fast 8 Prozentpunkte und landete deutlich abgeschlagen auf Platz 2.
FPÖ und Knittelfeld, war da nicht mal was? Ja, im September 2002 fand hier im bewusst imposant gestalteten Kultur- und Kongresshaus eine freiheitliche Palastrevolte statt. Jörg Haider war seine blaue Regierungstruppe zu selbstständig geworden, mit Hilfe seiner Kärntner und Wiener Kameraden brachte er die Parteispitze so ins Wanken, dass die Regierung unter Schüssel in Neuwahlen flüchtete. Unvergessen: Kurt Scheuch, der „Reißwolf von Knittelfeld“. Er hatte vermutlich (so will es zumindest die Legende) einen Befehl seines An-Führers nicht ganz verstanden und allzu wörtlich genommen.
Das Theater im Bahnhof nimmt sich nun am Ort der Geschehnisse – in einer weitgehend leergeräumten Halle – die Veranstaltung zur Brust, seziert diese und setzt ihre eigene Erzählung der Historie entgegen. Unter der Regie von Ed. Hauswirth unterhalten sich zwei Bühnenarbeiter über die Ereignisse anno dazumal. Grandios entspannt: Rupert Lehofer, wandelbar bis hin zur Karikatur: Zaid Asalame. Durch Recherchen vor Ort und in den Archiven unterstützt, zeichnet Hauswirth ein Setting nach, das wahrlich erstaunlich ist. Da werden erst einmal die Sessel und Tische gerückt. Die internationale Presse hat bereits Wind von der Sache bekommen, wird aber nicht eingelassen. In der ersten Reihe sitzt Haider, fast unbeweglich. Die Vertreter der Regierung stehen orientierungslos herum. Später am Podium versuchen sie noch gute Miene und vor allem im Falle des ach so schönen Finanzministers gute Figur zu machen. Doch die Rebellen erobern den Saal und erfüllen gehorsam den Racheplan. Ein Drama, das damals die FPÖ rund 2/3 ihrer Stimmen kostete und zur abstrusen Konstruktion des BZÖ führte.
Lehofer und Asalame glänzen in ihren Rollen wie der Fußboden im Saal. Die routinierte Lässigkeit des älteren Arbeiters, die Neugier und der Tatendrang des Jüngeren münden in eine herrlich absurde Szene, in der die Gegenwart Einzug hält. Kickl sitzt mit einem Fußbad da und genießt das Chaos aus der Ferne.
Es ist ein reduziertes Stück, dessen Herangehensweise fast behutsam ist. So gelingt die Übung, auf konzentrierte und weitgehend unpolemische Art in die Tiefe zu gehen. Der Saal spielt neben den beiden Akteuren eine wichtige Rolle. Das Bühnenbild von Helene Thümmel unterstreicht die Absurdität des Geschehens auf das Prächtigste. Poppige Fahnen, ein Video von Saddam Hussein mit Haider sowie ein schillerndes „König-der-Löwen“-Bild verwandeln den fast leeren Raum in einen Schrein für Haider und seine Kumpanen.
Am 26. Oktober und am 2. November gibt es noch zwei Möglichkeiten das Stück zu sehen, das meinen Knittelfelder Sitznachbarn zurecht ein wenig an den großen Qualtinger als „Herr Karl“ erinnerte. Prädikat: Sehr sehenswert!
Infos und Tickets: www.theater-im-bahnhof.com
Foto: Johannes Gellner