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Geschichtsbuch des Monats

Evelyn Steinthaler: „Schau nicht hin. Kunst als Stütze der Macht – die Geschichte der Diven des NS-Kinos“, Kremayr & Scheriau 2024

Ich besitze einige Schellackplatten. Auf einer davon besingt Zarah Leander „Eine Frau von heut“. Die Sammlung stammt eh nicht vom Nazi-Opa, sondern vom anderen Zweig der Familie. Und glamourös ist er ja, der Song…

Evelyn Steinthaler bleibt ihrem Thema treu. Zuletzt schrieb sie über Liebesbeziehungen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Künstler:innen und Intellektuellen in der NS-Zeit. Nun geht es um vier Diven, die sich Goebbels und Hitler aus dem Ausland holten. Lida Baarová aus Prag, die Ungarin Marika Rökk und die beiden Schwedinnen Kristina Söderbaum und Zarah Leander. Steinthaler erzählt ihren Werdegang, ihre Karriereträume, die die Nazis nur allzu gerne förderten und die Zeit nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur. Keine von ihnen entschuldigte sich je ernsthaft für die Mitwirkung an teilweise wirklich übelsten Propagandastreifen. Keine von ihnen fiel freilich länger in Ungnade, zumindest was das österreichische Publikum anging. Ihre Filme und Lieder wurden nach einer kurzen Pause wieder gespielt, im Nachmittagsprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, im Kino und teilweise auch im Radio.

Das besondere Verdienst dieses fundiert geschriebenen Buches ist aber nicht die pure Nacherzählung, sondern das Schürfen nach Absurditäten aller Art. So sang die Leander vor ihrer Zeit im Solde der Nazis das antifaschistische Lied „Im Schatten eines Stiefels“. SS-Männer traten als weibliche Statisten in einem ihrer Filme auf, weil keine Frauen aufzutreiben waren, die Zarah Leanders Größe und Körperdimensionen gehabt hätten. Jorge Semprun hörte ihre Songs im KZ. Und in den 1950ern und 60ern wurde sie zur Schwulen-Ikone.

Die brave Marika Rökk, die stets gut gelaunt durch die Weltgeschichte tanzte, wirkte an einem Film mit, der schon Tage vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen ins Polnische übersetzt wurde. Da wusste offenbar schon jemand Bescheid. Gerade die Rökk wurde zum unschuldig-heiteren Evergreen hochstilisiert. Selbst ihre bedenklichsten Filme wurden nach 1945 ungeniert weiter gezeigt.

Lida Baarová spielte im Film „Barcarole“ eine tragende Rolle. Perfiderweise nutzten die Macher Musik des jüdischen Komponisten Offenbach, ohne ihn freilich namentlich zu erwähnen. Die schöne Tschechin hätte Goebbels beinahe in private wie politische Turbulenzen gebracht. Ihre Liaison mit dem Reichspropagandaleiter war letztlich verantwortlich für das jähe Ende ihrer Karriere.

Bleibt noch Kristina Söderbaum, die ihre Laufbahn nicht zuletzt dem umstrittenen Filmemacher Veit Harlan zu verdanken hatte. So oft musste die Schwedin in den NS-Propagandastreifen sterben, dass man sie auch „Reichswasserleiche“ nannte.

Generell waren die Rollen und Filmcharaktere der vier durchaus unterschiedlich. Die eine verkörperte den „südländischen Vamp“, die andere musste als brave deutsche Frau den Heldinnentod sterben. Die Nazis brauchten die Diven, um den Anschein zu erwecken, das – im doppelten Sinne des Wortes – „nationale“ Kino hätte auch internationale Bedeutung. Die Schauspielerinnen wiederum wurden am Höhepunkt ihrer Zeit in Deutschland hofiert und fürstlich bezahlt. Wenn Zarah Leander einkaufen wollte, sperrte man kurzerhand das „Kaufhaus des Westens“ für alle anderen.

Evelyn Steinthaler gelingt es mit ihrem Buch, die Unterhaltungsindustrie von Goebbels & Co. auf den Punkt zu bringen. „Schau nicht hin“ liest sich erhellend auf jeder Seite. Und die Zarah Leander Platte? Die bleibt im Schrank.

 

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