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Dramen, die das Leben schrieb Theater

Erbstück des Monats

„Leonce & Lena – nowhere to run“, Schauspielhaus Graz

Büchner, da war doch was im Deutschunterricht. Viel mehr als der Titel des Stücks ist bei uns aber nicht hängen geblieben. Anders geht es dem Kind. Dieses wurde von der engagierten Lehrerin ins Schauspielhaus geladen und war so angetan, dass wir dem munteren Treiben auch eine Chance geben wollten. Und wahrlich: Es hat sich ausgezahlt…

Aber beginnen wir von vorne. Nämlich knapp vor dem Beginn des Stücks. Das Publikum betritt den Saal, die beiden Hauptpersonen sind schon auf der Bühne. In einem Ambiente voller Rot-Töne langweilen sich Leonce und Lena, getrennt durch eine mehr oder minder unsichtbare Wand. Die Kostüme hätten dem alten Büchner vermutlich die Sicherung rausgeschmissen. Obwohl: Sein einziges Lustspiel war ja auch schon damals (1836) satirisch angelegt und hat im Übrigen seine ganz eigene Geschichte erlebt. Als Einsendung für einen Literaturwettbewerb gedacht, versank es erst mal für gut 60 Jahre in der Versenkung.

Der Text, das Motiv, ist freilich gut gealtert, das beweisen viele Aufführungen der vergangenen Jahre im deutschsprachigen Raum. Auch Regisseurin Rebekka David am Grazer Schauspielhaus zeigt dies eindrucksvoll und eigen. Aus dem Adel wird Geldadel. Die beiden Abkömmlinge aus vermögendem Hause begeben sich auf Reise nach Italien. Immer auf der Suche nach dem legendären „Dolce far niente“. Die Begleitung: Die Gouvernante und der quirlige Prokrastinator Valerio, der immer wieder schöne Weisheiten über die Arbeitswelt gelassen einstreut. Das ewige Tun, das Streben nach Macht und Geld, wird von der jungen Generation hinterfragt, ja abgelehnt. Rudi Widerhofer als grenzgenialer Grantler-König Peter Popo sucht ergo weit mehr als eine Stunde lang einen Erben für seinen Konzern und wird ihn am Ende doch nicht finden. Die geplante Fusion der Popos mit den Pipis wird von Valerio durchkreuzt. Man weiß nicht so recht, ob er am Ende nicht der einzige Profiteur des Durcheinanders sein wird.

Die Besetzung ist 1a mit Sternchen und holt sich am Ende verdienten langen Applaus ab. Neben Widerhofer glänzt eine junge Truppe. Otiti Engelhardt und Dominik Puhl legen ihre Figuren grell und glamourös an und nähern sich damit auf interessante Weise der Vorlage. Sie wirken naiv, lassen sich treiben, doch an ihren Überzeugungen halten sie fest. Mario Lopatta als Valerio haut ordentlich auf den Putz, Annette Holzmann schillert als Gouvernante. Zu loben sind auch Robin Metzer, der aus der Schauspielhaus-Bühne alles herausholt, was diese zu bieten hat. Ganz großes Kino etwa der versenkbare Obst- und Gemüsestand. Dazu zaubert Anna Maria Schories Kostüme auf die Bühne, die ganz laut „Wow“ sagen. Das alles der Dramaturgie von Jonas Hennicke folgend.

Die lokale Presse nahm das Spektakel mit gemischten Gefühlen auf. Was aber Fakt ist: Das Stück entwickelt sich nach etwas zähem Beginn zu einem poppigen Theaterabend, der gerade auch ein sehr junges Publikum erreicht. Kompliment dafür.

Zwei kleine Warnungen noch: Die geplante Vorstellung am 4. 1. 2024 wurde leider abgesagt. Die vorläufig letzte Chance, das Stück zu sehen, ergibt sich am 25. Jänner. Und: Wenn Sie ins Schauspielhaus gehen, ziehen Sie sich warm an. Die Haustechnik bläst polare Kaltluft in den Saal, insbesondere in den ersten Reihen ist es ausgesprochen frisch am Popo.

Foto: © Lex Karelly

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