Volker Viechtbauer: „Dietrich Mateschitz. Flügel für Menschen und Ideen. Mit Red Bull auf den Spuren von Viktor Frankl“, Benevento Verlag (Red Bull Media House) 2023
Der Autor war Wegbegleiter und Vertrauter des Red-Bull-Gründers, dies entnimmt man dem Klappentext. Ansonsten bezeichnet sich Viechtbauer als „begeisterten Leser“. Dass er außerdem gut dreißig Jahre juristisch für Red Bull arbeitete, erfahren wir erst ab Seite 82.
Wenn wir das Vorwort übrigens richtig interpretieren, fand Mateschitz die Idee zum Buch und später auch die Umsetzung fragwürdig. Er wollte nicht, dass es zu Lebzeiten erscheint – stellte allerdings die Möglichkeit in den Raum, es könne so etwas wie ein Nachruf werden. Das alleine wäre schon bemerkenswert. Dazu kommt, dass ein Red-Bull-Buch aus dem Red-Bull-Verlag einen Hauch von gummibärigem Eigenlob verströmt.
Vor allem sind es die wiederkehrenden Vergleiche zwischen dem Denken Frankls und der „Philosophie“ von Red Bull, die gelinde gesagt erstaunlich sind. Dazu kommt, dass der Autor gleich einmal absteckt, wer gut ist und wer nicht:
„… lieferte Frankl das Wertekorsett, innerhalb dessen Red Bull ganz real Flügel verleiht, Tag für Tag, an Mitarbeiter, Athleten und Andersdenker jeder Art und Couleur. Viele, die dieses Denken teilen, lieben Red Bull genau dafür. Und wenn Indoktrinierte, welcher Ismen-Liste auch immer sie angehören, die Marke dafür kritisieren oder sogar anfeinden, bestärkt sie das, auf dem richtigen Weg zu sein.“
Man beachte das Korsett der Werte, das so gar nicht nach grenzenloser Freiheit und Selbstverantwortung klingt, die der Autor schon zu Beginn des Buches mehrfach beschwört, indem er auf Frankls Werke verweist. Und man beachte, dass ein „Andersdenker“ gut ist, solange er Red Bull mag. In der Tonart geht es übrigens gleich weiter:
„Die Geißel unserer Zeit ist der Konformismus – wir tun, was alle tun. Dazu bedarf es nicht einmal mehr totalitärer Systeme, die Indoktrination erfolgt heute subtiler über soziale Medien, in deren Filterblasen und Echokammern.“
Hold my beer energydrink. Der offizielle Account von Red Bull hat auf Facebook zur Zeit 49 Mio. Follower, auf Instagram 18,5 Millionen. Da sind Subseiten noch gar nicht mitgerechnet. Und seien wir ehrlich: Das „wir tun, was alle tun“, ist doch das Grundprinzip der Marke geworden. Alle schauen Formel 1, alle schauen Fußball, alle trinken Red Bull. Wer da noch an die abenteuerliche Welt des Einzelgängers denkt, der völlig selbstbestimmt seiner Wege geht, hat entweder das Grundprinzip von Marketing nicht verstanden oder zu viel Taurin konsumiert.
Eines muss man neidlos anerkennen: Der rote Bulle ist eine der erfolgreichsten Marken der Welt. Das muss man nicht mögen, aber imposant ist es schon. Nur: Diesen Brand mit Humanismus aufzuladen, ist absurd bis lächerlich, das wird vielleicht auch Mateschitz zu seiner Ablehnung gebracht haben. Es geht bei der Dose aus Fuschl nicht um Ideale, es geht nicht um die Rettung der Welt, es geht um Geld. Money, honey.
Was mit dem Geld passiert, kann man dann wieder offen diskutieren. Im steirischen Murtal etwa wird man kaum Mateschitz-Kritik hören. Wurde doch die Wirtschaft angekurbelt, etliche Gasthäuser und Hotels belebt. Am Red-Bull-Ring dröhnen die Motoren und locken zigtausende Fans an.
An einem Punkt wollen wir noch nachhaken. Viechtbauer schreibt unter Berufung auf Frankl: „Weder behördlicher Zwang oder Willkür noch gesellschaftliche Erwartungshaltung dürfen uns daran hindern, das Richtige zu tun.“ Das klingt doch eher nach Klimaaktivismus als nach der Liebe zum Taurin-Saft – oder liegen wir da falsch? Wenn der Autor auf Frankls Betonung von „Freiheit“ und „Verantwortung“ verweist, darf man fragen: Welche Freiheit ist gemeint? Und welche Verantwortung (etwa für die Umwelt) nimmt Red Bull abseits von PR-Stunts wahr?
Zuerst erzählt Viechtbauer kurz Frankls Biographie nach (er kommt vorerst mit vier Seiten aus), dann geht es an die Entstehung von Red Bull (da braucht er sehr sehr viel mehr Platz). Der zweifellos interessante Werdegang von Mateschitz, den der Autor schildert, darf mittlerweile allerdings als hinreichend bekannt vorausgesetzt werden. Am Rande geht der Autor dann auf die Verweigerungshaltung von Mateschitz und seinem gesamten Unternehmen ein, was Interviews und andere Statements für die Presse betraf und betrifft:
„Das entspricht dem Grundsatz, dass Red Bull nicht mit den Medien spricht, sondern über die Medien kommuniziert, also Red-Bull-Inhalte nach Möglichkeit Editorial verbreitet werden.“
Muss man sich halt auch leisten können…
Red Bull, so Viechtbauer, sei für Mateschitz „so etwas wie ein Ort der Sehnsucht“ gewesen. Ein Ort, um die „Beschränkungen des zivilisierten Durchschnittsmenschen hinter sich“ zu lassen. Wie das mit dem „Wertekorsett“ und der strikten Kommunikations-Disziplin bei Red Bull zusammenpasst, mögen andere beurteilen. Es folgt der Kampf gegen die Behörden, um den Energydrink endlich auf den Markt bringen zu dürfen. Die deutschen Ämter machen dem wackeren Steirer das Leben zum Graus, doch glücklicherweise sind die Österreicher nicht so happig (oder eher: ziemlich schlampig) und Red Bull kann endlich seine Flügel ausfahren.
Es geht in der Folge nicht um Milliarden an Privatvermögen, es geht um die Suche nach dem Sinn. Sagt Viechtbauer mit Frankl. Doch da gibt es ja die schwindende Orientierung, den Niedergang der Werte. „Das Vakuum füllt mehr und mehr eine Konsumindustrie der sozialen Medien…“ – und Red Bull ist da aber so was von dagegen.
Das Idealbild ist natürlich nicht der Konsumtrottel (obwohl er die Kassen klingeln lässt), sondern der „selbstvergessene Mensch“. Der hackelt selbstständig und fragt nicht lang herum. Der tut Gutes, der braucht nicht einmal Motivation von außen. „Er ist ein wahrer Segen für ein Unternehmen“. Reden wir eigentlich noch über Red Bull oder über die Caritas? „Der Ruf nach Bescheidenheit und gewissenhafter Aufgabenerfüllung erscheint antiquiert…“ – sei bescheiden wie Mateschitz möchte man den Anhängerinnen und Anhängern der diversen Ismen zurufen.
Aber halt, nun kommen kritische Töne: „Die Geschichte ist voll von fehlgeleiteter Ambition.“ Ganz ruhig, die Rede ist nicht vom Red-Bull-Gründer, sondern von Robert Oppenheimer. Interessant wird es dann, wenn uns Viechtbauer tiefer in die Entwicklungsgeschichte der Marke blicken lässt. Eingeweihte werden all das wissen, aber für uns indoktrinierte Konsum-Konformisten ist doch einiges neu. Natürlich kann der Autor nicht ganz ohne Seitenhiebe auf die Behördenwillkür auskommen, aber da lesen wir einfach drüber.
Zwar hat selbst Mateschitz Fehler und Schwächen, ist zu lesen, aber: „Die Institution Dietrich Mateschitz ist maßgebend, dass Red Bull von Anfang an ein sinn- und wertorientiert geführtes Unternehmen war und dies noch immer ist. Ein Unternehmen, das Menschen wertschätzt und nicht nur als Produktionsfaktor, sondern im Sinne Frankls als Quelle von Kreativität und Innovation betrachtet.“
In der Folge geht es auf noch einmal 120 Seiten hin und her zwischen Frankl und Mateschitz. Am Ende steht fest: In einem hatte die Institution jedenfalls recht: Das Buch hätte im Safe bleiben sollen.