Julia Lacherstorfer: “NACHBARIN ( a diverse narrative)”, Medienmanufaktur, VÖ 14.4.
Das hier ist ein Experiment, eine Suche. Und damit man die Hintergründe besser versteht, sei hier die Künstlerin ausnahmsweise ausführlich zitiert: “…SPINNERIN war erst der Anfang, mein erstes Projekt, das sich bewusst weiblichen Narrativen zuwendet. Und es gibt so viele Perspektiven! Wir alle leben gut in unseren Bubbles und Filterblasen, da ist es wohlig und warm, wir bekräftigen uns gegenseitig in unseren Meinungen und Sichtweisen und können versichert sein – wir haben recht. Was aber, wenn unsere Sichtweise eine eingeschränkte und privilegierte ist? Wenn wir nicht sehen können, was andere tagtäglich erleben? Du siehst, du siehst, was ich nicht seh‘? Und genau das interessiert mich. Was meine Nachbar:innen erleben,
ob sie nun direkt neben mir wohnen, oder viele Kilometer weit weg. Ob sie ihre Wurzeln hier in Österreich haben, oder anderswo. Rund ein Viertel meiner österreich:ischen Nachbar:innen haben eine Migrationsbiografie, von ihnen will ich lernen, anstatt über sie zu hören.”
Julia Lacherstorfer und ihre “SPINNERIN” haben wir hier vorgestellt. Neben den erwähnten Nachbar:innen prägen das Album auch Sophie Abraham an Cello und mit Stimme, Miriam Adefris an Harfe und mit Stimme sowie Klangregisseur Lukas Froschauer. Die NACHBARIN ist ein bewegendes Plädoyer für das Zuhören, das Nachfragen. Und mit 14 Songs auch reich an Tönen und Zwischentönen. Dazu kommt noch ein wunderschön gestaltetes Booklet. Und wie klingt das alles nun? Nach ernsthafter, ernst zu nehmender Musik. Mit internationalem Charakter. Und jeder Menge Wurzeln.
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5/8erl in Ehr’n & Jazzorchester Vorarlberg: “Live in der Wachau”, Viennese Soulfood Records, VÖ 31. März
Leben wie Qualtinger, sterben wie Heller? Oder vielleicht doch lieber umgekehrt? Nicht nur der Auftaktsong dieses Albums vereint Schwung mit Philosophie. Die Platte, die vom ORF im Juli 2021 in Krems bei einem Konzert mitgeschnitten wurde, präsentiert die Achterln in großer Besetzung mit dem Jazzorchester Vorarlberg. Ein Doppler sozusagen – oder eher schon ein Sechser-Kistl. Jedenfalls keine Massenware, sondern allerhöchste Qualität. Prachtvolle Bläser, mitreißende Percussion. Und wie immer gibt es hier nicht nur Virtuosität, sondern auch jede Menge gut abgehangenen Schmäh. Mit dabei sind nämlich auch Klassiker wie “Alaba, how do you do”.
Wenn man überhaupt etwas an dem Projekt aussetzen könnte, dann eigentlich nur die Tatsache, dass sich auf dem Album lediglich acht Songs finden. Aber: Die sind dann gerne auch mal vier, sechs oder auch acht Minuten lang. Albert Hosp, der gute Mensch aus dem Radio, hatte die Idee. Und weil Live in der Wachau auch nicht alles ist, gehen die Achterln auf Tour. Lassen dabei allerdings leider die Steiermark aus, wie es scheint. 27.04. Linz, 28. 4. Salzburg, 29. 4. St. Pölten, 11. 5. Innsbruck, 12. 5. Dornbirn und 14. + 15. 5. im Porgy in Wien. Als kleine Motivation für alle Unentschlossenen hier das neue Video der 5/8erl.
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Cler & Grätzlorchester: “1+1=3” und “Dunkelrotes Brot”, VÖ 21.4.
Auch originell. Die meisten Leute machen sich – möglicherweise berechtigte –Sorgen, wenn es darum geht, in Zeiten wie diesen ein Album zu produzieren. Der Cler hingegen bringt gleich zwei Platten am selben Tag heraus. Der Cler? Das ist Max Hauer. Wohnte mal in der Clerfaytgasse im 17. Wiener Bezirk. Deswegen. Die Gasse wiederum wurde benannt nach einem österreichischen Offizier. Andere Geschichte. Der Presse hat der Cler übrigens einmal verraten, dass sein Faible für Streicher und Bläser vermutlich von einer Überdosis Disney-Filmen kommt. Und obwohl er eigentlich aus OÖ stammt, ist er in Wien schon sehr heimisch geworden, wovon u.a. auch diese beiden Alben zeugen.
Da gibt es Songs wie “Tramhapada”. Lieder schreiben kann der Cler sowieso richtig richtig gut. “Positives Feedback”, die Nummer könnten wir den ganzen Tag hören. Was auch damit zusammenhängt, dass das Grätzlorchester voll gespickt mit richtig guten Leuten ist: Florian Sighartner (Violine), Carles Muñoz Camarero (Cello), Emily Steward (Bratsche), Jakob Mayr (Posaune), Marc Osterer (Trompete), Florian Fuss (Querflöte), Dominik Mayr (Bass) und Raphael Rameis (Schlagzeug). 1+1 ist funky, voller Swing, leichtherzig. Das dunkelrote Brot ist eher variete-rockig, bissl schwermütiger, abgeklärt wie ein guter Song von Danzer. Könnte z. B. dem Herrn Molden auch gefallen. Müssten wir uns entscheiden, täten wir das Dunkelrote nehmen. Aber lieber beide!
„Wos i nu vagessn hab: A Klanigkeit. Musst verstehn…
Kannst du bitte scheißn geh?“
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Gibt’s in diesem April bei euch eigentlich keinen Indie-Rock oder Post-Punk? Doch!
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Mann aus Marseille: “Flamingo”, Pumpkin Records, VÖ 5. 3. 2023
Das ist spaßig, aber nicht nur. Eine Linzer Band, die überzeugend an die wilden Zeiten des dortigen Undergrounds anknüpft. Die legendären Willi Warma und andere “Stahlstadtkinder” als mögliche Andockstaton. Wenn Du eine Platte mit “Hast du Angst?” beginnst, darfst Du Dich auch nicht wundern, wenn sich jemand an die Zeit Ende 1970er/ Anfang bis Mitte 1980er erinnert. Songs wie “Polanski” oder “Flamingo Bar” spielen ebenfalls mit Reminiszenzen, sind aber nie rein retro. Das hier ist solider Indie-Rock mit Punk-Attitüde, der genau weiß, wie schwer/hart/spröde er sein darf und wie viel Synthie wir 2023 aushalten. Der gute alte Peter-Weibel-New-Wave-Style wird auch noch mal wiederbelebt in “Lasst sie gehen”. Und dann muss man auch sagen: Diese Platte ist gespickt mit eingängigen Tracks wie “Trampolin”, die auf eine verkrachte Art Hit-Potenzial haben. Schön, dass es sowas auch geben kann…
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Johnny Batard: “Calimero”, Post Office Records, VÖ 31. 3. 2023
Calimero also. Johann Zuschnegg aka Johnny Batard hat sich mit seinem Bruder Julian ausreichend Zeit genommen, um sein Debut zu toppen. Und das ist gar nicht so leicht. FM4 und der Falter waren anno 2020 richtig begeistert. Mit dabei im Pressereigen: Der Haubentaucher. Die punkige DIY-Keller-Athmo ist noch da, aber der Calimero klingt raffinierter und reifer als der Vorgänger. Und gegen so verdammt guten Indie-Rock kann man ja nun wirklich nichts sagen. Jetzt wissen wir übrigens auch, an welchen Marco uns die eine oder andere Sequenz ganz leicht erinnert.
Gibt es natürlich bei den Grazer Platten-Postlern auch auf Vinyl und diesmal ist auch das Cover ein guter Grund, die Platte zu kaufen. Während andere Bands einen Bogen um Graz machen, spielt der Johnny in den kommenden Wochen gleich zweimal in der “Mur-Metropole”. Am 13. April im Cafe Wolf mit der Album-Release-Show und am 5. Juni im Forum Stadtpark. Ihr geht da einfach mit dem Calimero im Arm hin und holt sich vom Johnny ein Autogramm. Deal?