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Tonträger des Monats November / Ö

Orange Baboons: “100% Homeless”, Noise Appeal Records, VÖ 11. 11. 2022

Es gab ein Leben vor dem Haubentaucher. Graz war damals in den 1980ern und 1990ern ziemlich düster und grau, ehe eine wilde Horde von orangen Pavianen die Stadt und das Umland aufmischte. Die Orange Baboons rund um Matthias “Hias” Eberhart, Wolfgang “Huawa” Huber und Martin “Eisi” Eisenberger wurden bald zur Kult-Band. Bereits die Coverversionen von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra auf der ersten Platte machten die Baboons national wie international bekannt. Der große John Peel liebte sie heiß und innig – wenn die Legende stimmt, stellte er sie einst in England dem Live-Publikum als “Band from Czechoslovakia” vor. Begründung: “Klingt interessanter”. Überhaupt waren die Live-Qualitäten außerordentlich. Der Autor erinnert sich unter anderem fragmentarisch an einen grandiosen Auftritt in einem schummrigen Wirtshaus in Bärnbach. Die erste und einzige Platte auf einem Major-Label war dann “100% Homeless” aus dem Jahr 1995. Zwei Jahre später war es dann auch schon wieder aus mit dem Spaß.

Noise Appeal legt die Scheibe nun neu auf und Überraschung: Der Grunge-Style funktioniert auch mehr als ein Vierteljahrhundert später noch immer – auf manchen Songs, nicht unbedingt auf allen im selben Ausmaß. Aber in Summe: “Gschissn geil”, wie eine Userin auf Youtube in herzerfrischender Offenheit schrieb. Die steirische Indie-Partie war mit ihrem fetten Sound wirklich in einer Liga mit den Leuten aus Seattle, die heute 16-Jährige nach wie vor feiern (oder zumindest: deren Shirts sie tragen).

Die limitierte Doppel-LP enthält außerdem eine ganze Seite mit bisher unveröffentlichten Demo-Aufnahmen – mit deutschen Lyrics und in einem Stil, der so gar nicht zum gewohnten Baboons-Sound passen will. Soll heißen: Ein echtes Sammlerstück liegt hier vor, das auch der jungen Generation viel Freude machen wird. Das mit den Shirts kann ja noch werden…

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Stimmgewitter Augustin: “Die Reste gibt’s zum Schluss”, Konkord, VÖ 4. 11. 2022

Auch schon wieder 20 Jahre her, dass sich eine Gruppe für das Volksstimmefest in Wien formierte, um die Straßenzeitung “Augustin” gesanglich und letztlich auch generell zu unterstützen. Zum Finale versammelte sich die lose Truppe nun mit Gästen wie dem Fuzzman, Rewolfinger, 7 Sioux, Chris 4er Peterka und noch einigen mehr. Eine hübsche Passage aus dem Pressetext wollen wir zur Bandhistorie zitieren: “Das Stimmgewitter mischt mit in einem Geschäft, wo eigentlich kein Platz für so einen ‘Bastard’ reserviert ist. Die Journaille ist überfordert und beschreibt die Darbietung der schrägen Vögel als sozialen Druckausgleich, verbiegt sich in den Kommentaren und ringt um wohlwollende Sätze, ohne tiefer in das einzigartige Gesamtkunstwerk einzutauchen.”

So tief wird sich das Tauchen jetzt auch nicht ausgehen. Aber ein paar Zeilen gehen sich aus. Die Scheibe beginnt mit dem Fuzzman und seinem Song für einen Straßenhund. Wenn es heißt: “Ja auch dafür lieb ich Dich”, dann hat das Tränendrüsenpotenzial. Bernhard Macheiner gräbt die Kinettn des Wolferl Ambros wieder aus. Generell ist das Album nachvollziehenderweise voller Leben und Leiden. Perfekt abgemischt. Und das Stimmgewitter ist längst nicht mehr primär schräg, sondern blitzt und donnert, funkelt und strahlt auf eine sehr wienerische Art. Gesellschaftskritik klang schon länger nicht mehr so zartbitter. Und selbst reichlich abgenudelte Songs wie “Lauf Hase, lauf” kriegen hier neue Power.

Foto: Mario Lang

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Mary Broadcast: “Unplugged: Funkhaus Vienna”, VÖ 18. 11. 2022

Die Wiener Sängerin haben wir bereits 2018 für “Svinx” gefeiert. Nun ist das erste Unplugged-Album da. Aufgenommen im vergangenen Jahr im Wiener Funkhaus einer Initiative von Helmut Jasbar folgend. Da wären wir gern dabei gewesen, denn die Songs aus der EP “Panic” und von “Svinx” haben etwas melodisch Düsteres, das sehr Verwegene von der österreichischen Polly Jean Harvey sprechen lässt. So weit würden wir nicht gehen, aber die Frau, die lässig singen kann “I’m broadcasting” muss man gehört haben, wenn man was von österreichischer Musik verstehen will. Verstärkt wird der Sound von Flügel, Acoustic Bass & Gitarren und jazzig-minimalistischem Schlagzeug. Eine sehr schöne Sammlung, die man sich auch demnächst wieder live ansehen und anhören kann. Interessierte haben am 23.11.2022 im Wiener Akustik Loft eine Chance, eine der spannendsten heimischen Platten dieses Quartals kennen- und lieben zu lernen.

Artwork Arina Green

 

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