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Bergbuch des Monats

Oliver Schulz: “8849 – Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Mount Everest”, WESTEND Verlag 2022

„… der wahre Name des höchsten Gipfels im Himalaya, an den alle Gebete der Bergsteiger gerichtet sind, war und ist: die gütige Muttergöttin der Welt.“

Der 8849 Meter hohe Berg trägt die Namen Chomolungma, Sagarmatha, der dritte Pol der Erde – oder auch Mount Everest. Welche Bezeichnung folglich verwendet werden soll, hängt letztendlich davon ab, in welchem Kulturkreis (Tibet, Nepal, Westen) man sich gerade bewegt. Egal wie man den höchsten Ort der Erde nennt: Der Mount Everest ist und bleibt ein Mysterium. Oliver Schulz erzählt in „8849“ über die Träume und Ängste, Erfolge und Enttäuschungen und letztendlich über Leben und Tod am Mount Everest.

Der Autor ist Journalist und freier Redakteur und schreibt seit 2003 regelmäßig über die Tourismusentwicklung im Gebiet des Himalaya. In Hamburg studierte er Indologie, Tibetologie und Soziologie. Seine Erfahrungen und Kenntnisse konnte er in seinem Buch „Indien zu Fuß“ schon 2011 der Leserschaft näherbringen. In „8849“ erzählt er nun aktuell von der Entwicklung des Everest vom unbekannten Bergriesen zum heute heißbegehrten Tourismusziel. Dieses bizarre Geschäft mit dem Höhenwahn steht beispielhaft für den Irrsinn des gesamten Alpinismus.

Das knapp 190-seitige Buch ist eine informative, wortwörtlich atemberaubende und zugleich ungeschönte Lektüre über Mensch und Berg. Das Buch beginnt klassisch mit geografischen und historischen Fakten des „Hauptdarstellers“ und weckt weiteres Interesse durch viele spannende Anekdoten. Es überzeugt durch abwechselnde Themenauswahl und scharfe Beobachtungsgabe. Die Leserinnen und Leser erfahren, wie sich der Mount Everest vom Forschungsgegenstand hin zum Objekt des Massentourismus entwickelte; und sie bestreiten den schmalen Weg zwischen Ideologie und Geschäft. Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle irgendwo zwischen Angst, Freude, Erfolg und Scheitern – eine tragisch-schöne Abhandlung über Beziehungen zwischen Mensch und Natur.

Der Autor setzt gezielt Namen von Bergsteigern und Fakten zu erfolgreichen bzw. gescheiterten Touren und die journalistischen Erfahrungen, die er durch zahlreiche Interviews und Erfahrungsberichte vor Ort geführt hat, ein. Der tatsächliche Pluspunkt des Buches: „8849. Massentourismus, Tod und Ausbeutung“ erzwingt nichts; man kauft Schulz ab, dass ihm besonders die weiteren Folgen dieser Entwicklung für die Bewohner des Himalaya am Herzen liegen. Er bleibt permanent stimmig – und was noch viel wichtiger ist: immer informativ und spannend.

Oliver Schulz hat ein unterhaltsames und lehrreiches Buch über den höchsten Berg der Erde, nicht nur für Bergsteiger*innen, geschrieben. Unglück und Tod sind in diesem Werk ebenso präsent und permanente Begleiter der Erstbesteiger*innen, Maskenlosen, Bergverrückten, Sherpas und nun auch der Leserschaft von „8849“. Eindringlich beschreibt Schulz die Diskrepanz rund um den Bergriesen, indem er gekonnt den Augenblick einfängt (Covid-19 am Berg), immer wieder dezidiert die Vergangenheit beobachtet (Die Rebellen …) und fragt, wieviel Zukunft noch bleibt (Lösungen, Ziel für die Massen). Insofern hatte Reinhold Messner (Südtiroler Extrembergsteiger und Erstbesteiger aller 14 Achttausender) recht: „Die Berge, die es zu versetzen gibt, sind in unserem Bewusstsein …“

Text & Bild: aL

 

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