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Buch des Monats Musik Romane

Musikbuch des Monats Jänner / 1

Benjamin Berton: “Dreamworld. Oder: vom fabelhaften Leben des Dan Treacy und seiner Band Television Personalities”, Ventil Verlag Dezember 2021

„Wer der Meinung ist, dass es immer besser ist, lebendig zu sein als tot, der muss zugeben, dass Daniel Treacys Leben dem Bild seines Werks gerecht wird: bescheiden, tragikomisch und unspektakulär“ – so Benjamin Berton in seiner sehr realen Geschichte mit dem Titel „Dreamworld…“, die den zurückhaltenden Aufstieg und tragischen Niedergang des oft verkannten Musikgenies Treacy von den 1960er Jahren bis beinahe zur Gegenwart erzählt. Er präsentiert im vorliegenden Werk auch eine Art Musikbiografie über die reale britische Popformation „Television Personalities“ (1977 – 2011), die zwischenzeitlich gekonnt in persönliche Beziehungserzählungen über Treacy mündet und von überraschenden Treffen mit Bob Marley, Wham!, Paul McCartney oder Kurt Cobain berichtet. Berton legt uns zudem eine detailreiche Gesamtübersicht über den Schaffungsprozess der Musiklegende vor, die sich überzeugend zwischen Tragik und Einzigartigkeit bewegt.

Benjamin Berton lebt in Nordfrankreich und hat u.a. schon zehn Romane verfasst. Seine Beobachtungsgabe und sein Gespür für Verlierertypen, Außenseiter und gescheiterte Existenzen sind in seinen Texten und Büchern wie Die Wildlinge (2000) deutlich erkennbar. „Dreamworld oder: vom fabelhaften Leben des Dan Treacy und seiner Band Television Personalities“ ist seine aktuelle Buchveröffentlichung. Der 47-jährige Schriftsteller balanciert hier versiert zwischen Veröffentlichungen, (Live-)Auftritten und Anekdoten diverser Wegbegleiter in der gesamten Schaffensphase der Band. Er bringt uns abwechslungsreiche Szenarien und Charaktere näher und inkludiert zahlreiche Bilddokumentationen. Die 277-seitige Erzählung ist aufgrund der vielen Tonträger der Formation – und in Anbetracht ihrer Höhen und Tiefen – herausfordernd, streckenweise auch etwas langatmig. Die benötigte Ausdauer kann gegebenenfalls durch begleitende Musik der TVP angekurbelt werden.

Treacys Ähnlichkeiten zu Mark E. Smith von (den bekannteren) THE FALL sind nicht beabsichtigt, aber doch auffällig. London 1977, Punk ist bzw. war das große Ding auf der Insel. Daniels Vater borgt ihm das Geld für die ersten Tonaufnahmen. Treacy und Ed, sein treuester Wegbegleiter, nehmen die ersten beiden Songs „14th Floor“ und „Oxford Street W1“ auf. Das Geheimnis ihres künftigen Erfolges basiert auf der Energie des Punks, erstaunlichem popreferenziellem Substrat, das größtenteils den 1960er-Jahren entliehen wurde, aber auch einer Produktionstechnik, die damals neu war und die als Vorläufer der Lo-Fi-Bewegung im weiteren Sinne die intimste und elektrifizierte Popmusik der kommenden Jahrzehnte werden sollte.

„Dreamworld…“ orientiert sich an den Stärken von Benjamin Berton: Er ist ein beobachtender Erzähler; das vorliegende Werk ist ehrlich, verrückt und im letzten Drittel des Buchs auch sehr traurig. Für Leser*innen und Freund*innen der einmaligen THE SMITHS (obwohl Daniel Treacy anscheinend kein Morrissey Freund gewesen sein dürfte), VELVET UNDERGROUND (Nico!) und grundsätzlich für Menschen, die nicht genug von Brit-pop bekommen können (Hey, da könnte ich gemeint sein!). Ehrlich, Hand auf’s Herz und ohne Übertreibung: Joe Strummer war Fan, Kurt Cobain liebte sie und einige Menschen sind davon überzeugt: „TVP were bigger than the Beatles…“.

Text und Foto: aL

 

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