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Musikbuch des Monats Jänner / 2

Steffan Radlmeier, Michael Bader, Manfred Roithenberger (Hg.): “The Crazy World of Kevin Coyne. Künstler und Rockpoet”. Starfruit Publications, Fürth 2020

Der Meisterrocker von Nürnberg

So viel Wahrhaftigkeit lässt sich ohne Alkohol kaum ertragen, meinte sinngemäß Police-Mann Sting über seinen Sängerkollegen Kevin Coyne. Dieser war einer der größten Geheimtipps, den die britische Rockmusik je hervorgebracht hat, und ein Genie des Blues. Die deutschsprachige Biographie „The Crazy World of Kevin Coyne“ würdigt nun die musikalische, künstlerische und dichterische Arbeit des 2004 verstorbenen Ausnahmetalents, das seine Zelte in den letzten beiden Lebensjahrzehnten in Nürnberg aufgeschlagen hatte.

Als Wunsch-Sänger der „Doors“

Als junger Mann destillierte Coyne aus dem schwarzen Blues der USA die Verzweiflung, Lebensklugheit und den bitteren Witz und verbrämte diese Elemente mit eigenen Erfahrungen als Künstler aus der englischen Working Class. Um Geld zu verdienen, hatte Coyne in den 1960ern als Kunsttherapeut in einer psychiatrischen Anstalt gearbeitet, später als Sozialarbeiter in London. Die Ausgestoßenen, Außenseiter und Abweichler faszinierten ihn zeitlebens. Nach Jim Morrisons Tod 1972 wurde er vom Plattenlabel der „Doors“ gefragt, ob er Sänger in der Band werden wolle. Coyne lehnte ab. Er wolle nicht in Lederjeans schlüpfen. Und er hatte sich vermutlich richtig entschieden, denn von der Stimme her konnte er Morrison locker das Wasser reichen, aber in Sachen Sexidol wäre seine Besetzung eine astreine Crashbremsung geworden: Seine Gestalt war gestaucht, sein Kopf groß, und bald verlangten die exzessiven Pub-Besuchen seinem Körper ihren Tribut ab.

Auch dass der Hippie-Unternehmer Richard Branson Coyne gleich nach Mike Oldfield für sein neues „Virgin“-Label verpflichtete, machte aus dem Sänger und Songwriter keinen Star. Alben wie „Majory Razor Blade“ (1973) und „Dynamite Daze“ (1978) wurden zu Achtungserfolgen, Tourneen durch Europa und Großbritannien waren gut besucht. Aber Coynes Songs waren einerseits zu widerspenstig – was ihn für Punksänger Johnny Rotten zum Hero, aber für das Radio unspielbar machte – und andererseits zu bluesig, wodurch er auch nicht ins Punkschema passte. Er löste seine Band auf (Gitarrist Andy Summers ging zu „The Police“) und machte solo weiter. Doch die politische Großwetterlage änderte sich, und unter Margareth Thatcher verlor die Working Class in Großbritannien schnell an Einfluss. Auch in der Kunst. Coyne war da schon dem Alkohol verfallen.

Gestrandet in Nürnberg

Mitte der 1980er strandete er völlig versoffen in Nürnberg, wo ihn die Religionslehrerin Wilhelmine „Helmi“ Schmidt auflas und aufpäppelte. Coyne blieb in Nürnberg und überwand den Alkohol. Er malte, schrieb, las und machte – vom Mainstream unbeachtet – Musik, darunter so grandiose Alben wie „Carneval“ oder „Life is almost wonderful“, letzteres gemeinsam mit Brendan Croker. Insgesamt 40 Alben gehen auf das Konto von Kevin Coyne, der viele Fans, zahlreiche grandiose Songs und nie einen Hit hatte.

2004 starb der vielseitige Künstler an einer Lungenfibrose – absehbar, und doch unerwartet. Er hätte an diesem 2. Dezember in Wien auftreten sollen. Das lesenswerte Buch „The Crazy World of Kevin Coyne“ setzt dem Sänger, Songwriter, Maler und Autor nun ein würdiges Denkmal. Es beinhaltet auf über 380 Seiten Beiträge zu Leben, Musikschaffen und bildnerischem Werk sowie Interviews, Bilder und Texte aus den vier Jahrzehnten seines überschäumenden Schaffens.

 

 

 

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