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Tonträger des Monats Oktober / INT

TIRZAH: “Colourgrade”, Domino Records VÖ 1. 10. 2021

Das ist ein R.I.E.S.E.N.D.I.N.G. Und wenn ihr davon noch nichts gehört habt, holt es gleich nach. Die erste Platte von Tirzah aus dem Jahr 2018 hat erst mit gehöriger Verzögerung eingeschlagen, nun aber sollte die Hype-Orgel in UK bereits voll auf Anschlag gedreht sein. Dabei ist die Londoner Künstlerin eigentlich nicht auf den großen Medienkrawall aus. Sie produziert mit ihrem Umfeld lieber einen Hammertrack nach dem anderen. 10 Songs der Extraklasse finden sich auf Colourgrade. Alles, was England in den vergangenen 20 Jahren zu einer popmusikalischen Großmacht werden ließ, findet sich hier. Entspannte Vibes, ein Sound, der sich von den Anfängen des Triphop bis in die Zukunft zieht, eine große, aber sehr reduziert eingesetzte Stimme. Ein User auf Youtube hat das sehr schön auf den Punkt gebracht: “tirzahs vocals are so spacious but still cut thru like a knife”. Bigger than life!

Hör- und Sehprobe gefällig?

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MORITZ KRÄMER: “Die traurigen Hummer”, Tapete Records VÖ 1. 10. 2021

Der Berliner Sänger und Songwriter ist eine ganz und gar wunderbare Erscheinung. Ein Multitalent, der Filme gemacht hat, die musikalische Leitung in renommierten Theaterhäusern übernahm, mit Bands wie Virginia Jetzt! gespielt hat. Aber: Er ist keiner, der groß auf die Pauke haut. So ist etwa das CD-Cover so gestaltet, dass man glauben könnte, die Grafik hätte seinen Namen vergessen und dann mit Kuli draufgekritzelt. Die Musik ist für die feinen Salons genauso geeignet wie für hippe Clubs oder das traute Heim. Solange man die Texte versteht, denn Krämers Sprache zählt zum Feinsten, das es derzeit im DACH-Raum gibt. Er hat einen unvergleichlichen Humor und ach: wir sind sehr Fan…. Nach dem grenzgenialen Doppelalbum „Ich hab einen Vertrag unterschrieben 1&2″ nun die traurigen Hummer, die endlich sterben dürfen. Eine Platte voller Melancholie, leichten Melodien und einer Prise bitterem Beigeschmack: Zum Verlieben!

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ADRIAN SUTHERLAND: “When the Magic Hits”, Midnight Shine Music VÖ: 17. 9. 2021

Der Kanadier Adrian Sutherland ist Frontman von Midnight Shine, einer der bekanntesten First Nations Bands seines Landes. Er ist Buchautor und Sprachrohr der Attawapiskat First Nation Community. Seine indigene Sprache heißt übrigens Mushkegowuk Cree – da habt ihr wieder was gelernt beim Haubentaucher-Lesen. Sutherland ist außerdem vierfacher Großvater, hat während der Pandemie nicht nur dieses Album aufgenommen, sondern auch eine TV-Serie kreiert. Er engagiert sich für Wohnraum, Menschenrechte, sauberes Wasser und die bessere Verständigung zwischen den Volksgruppen in Kanada. Vor allem aber ist er ein Mann, der mit viel Gefühl Probleme und Sorgen der Menschen in Songs fassen kann. All das, was Americana groß gemacht hat, findet sich in angenehm reduzierter Form auch bei ihm. Lieder über die große Stadt, die Trennung von den Liebsten, Angst und Paranoia. Die Politik spart er diesmal aus, anders als in früheren Werken. Es geht ihm um den eigenen Weg, wie er sagt: “My new album When The Magic Hits is about deeper meaning for me. These songs allowed me to explore some personal stuff I’ve never been able to on past albums. Some of the themes are sensitive but it was important for me to write about them, like fighting through losses and traumas, and learning to appreciate everything I have today, because it hasn’t always been clear to me.”

Musikalische Experimente wird man hier nicht finden, es ist ein klassisches, schönes rundes Rock-Album von einem der spannendsten Künstler Kanadas. Das folgende Video zeigt schön, wie Sutherland arbeitet und vor allem wo…

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EFTERKLANG: “Windflowers”, City Slang VÖ 8. 10.

Die drei Dänen Mads Brauer, Rasmus Stolberg und Casper Clausen lernten sich bereits in der Kindheit kennen und sind seit über 20 Jahren Efterklang. Die Plattenfirma spricht von “experimentellem, elektronischem, emotionalem Kammer-Pop” und hat da nicht unrecht. Man könnte noch hinzufügen, dass es nordische Soundwelten sind, die hier auf Stimmungsbilder treffen, die auch bei introvertierteren Nordamerikaner*innen anzutreffen sind. Das Album entstand in einem Studio auf einer kleinen Insel südlich von Kopenhagen und auch diese Stimmung ist auf “Windflowers” zu spüren. Während sie live auch schon auf komplette Symphonieorchester gesetzt haben, sind die Streicher hier präsent, aber in reduzierter Form. Caspers sanfte, fast schon engelsgleiche Stimme tut das ihre dazu, dass diese Platte sich kuschelweich in deinen Herbst schmiegen wird.

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HAYDEN THORPE: “Moondust for my diamond”, Domino Records VÖ: 15. 10. 2021

Hayden Thorpe ist seit 2018 auf Solopfaden unterwegs. Nicht, dass es nicht schade wäre um seine frühere Art-Rock-Band Wild Beasts, aber so kann er einfach besser verwirklichen, wonach ihm ist. Und das wäre: Ein sehr kunstsinniger, feinsinniger Zugang zu Indie. Nicht umsonst nennt Hayden gerne Leute wie Kate Bush oder Leonard Cohen als Inspirationsquellen. Mittlerweile könnte man aber auch Größen wie Scott Walker heranziehen für gewagte Vergleiche…

Die Stimme kann, wenn sie will, sehr weit rauf. Zudem spielt er Gitarre, Bass, Keyboards und Klavier – so einer braucht nicht wirklich eine Band. Die Platte verbindet Dance mit Trance, sanften Pop mit ebenso dezentem Electro. Ein extraschönes Album für späte Abende und den frühen Morgen, wenn rundherum alles still ist. 12 zeitlose Songs für die Ewigkeit. Keine Platte, bei der man sich “Hits” herauspicken sollte. Ein Gesamtwerk.

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