Georges Desrues und Erich Bernard: „Triest für Fortgeschrittene“, Styria Verlag 2021
In regelmäßigen Abständen ereilt Herrn und Frau Ösi die Sehnsucht nach Italien. Hinweg mit den Alpen, Schluss mit den Teichen und Seen, das Meer muss her. Die beliebtesten Ausfahrtsstraßen Österreichs sind ja bekanntlich die Triester Straßen – und da liegt es nahe, sich das mal genauer anzusehen. Auf in die Stadt der Winde – andiamo a Trieste!
Nach meinen Beobachtungen gibt es zwei Typen von Triest-BesucherInnen: den „Schnell mal ans Meer, Espresso, Shopping und Calamari fritti“ Typ, und jenen der zum Espresso „il nero“ sagt, „Gnocchi con Gulash“ bestellt und der von der Beton-Terrasse aus eine Clanfa ins Meer setzt. An die Triest-Reisenden der letztgenannten Gattung wendet sich das Buch – „Triest für Fortgeschrittene“.
Besonders anfällig für das Triest-Fieber sind ArchitektInnen. Von der Natur mit großer Neugierde ausgestattet, erklimmen sie steile Gassen, blicken hinter jede Tür, erkunden schwer zugängliche Hinterhöfe und erkennen vermeintliche Banalitäten als Orte historischer Brisanz. Einer dieser Art ist Erich Bernard, eine Hälfte des Autoren-Duos. Er ist Teilhaber eines erfolgreichen Wiener Architekturbüros und lebt seit vielen Jahren in einer On/Off Beziehung zu Triest. Der Zweite im Bunde ist Georges Desrues, ein ebenfalls Blickgeschulter, ein Fotograf, der sich mittlerweile zur Gänze in Triest angesiedelt hat.
Das Buch hält, was es verspricht. Es vermittelt Eingänge mit Tiefgang in jene Themen, die die Stadt prägen und geprägt haben. Auch wenn die obligaten Ausgeh- und Nächtigungs-Tipps nicht fehlen, wird es dabei nie zum schnöden Reiseführer. Man orientiert sich nicht am Bedarf von TouristInnen, der Fokus bleibt streng auf die Eckpfeiler des Lokalkolorit gerichtet. Dass hier einsturzgefährdete Baracken oder plastikbestuhlte Tschumsn besprochen werden, mag so manchen verstören – aber erinnern wir uns an den Titel: „für Fortgeschrittene“.
Die Kapitel des Buches sind gut gewählt. Wie Steine eines großen Mosaiks beleuchten sie die einzelnen Facetten der Stadt. Von der Zeit der Habsburger, über die Bauten des Faschismus, von versteckten Osmizes, der Macht des Cafes, den beliebten Buffets bis zu den vielfältigen Badeplätzen der Triestiner und so fort. Jedes Kapitel steht für sich, aber von einem zum nächsten verdichtet sich das Bild zu einem Gesamten. Das liegt vor allem daran, dass die Autoren sehr gründlich Querverweise zwischen den Kapiteln einfügen, so manche Tatsachen werden mehrmals erwähnt, eine Redundanz, die ein besseres Verständnis der Zusammenhänge ermöglicht. Die Autoren waren auch in ihren Recherchen gründlich. Viele interessante Positionen entnehmen sie aus Gesprächen mit den letzten aktiven Fischern, Lokalbetreibern oder dem Bürgermeister Dipiazza – dessen Aktivitäten sie auch offen kritisch kommentieren. Darüber hinaus muss die Qualität der Fotografien erwähnt werden und überhaupt ist die grafische Gestaltung vorbildlich. Nicht ganz zu übersehen ist die Profession des Wiener Autors. Es geht oft um architektonische Stile, Architektennamen liest man viele.
Dass Triest die „unitalienischste“ aller Städte Italiens ist, ist bekannt. Die Stadt speist sich aus mannigfaltigen kulturellen Einflüsse und ist einzigartig in ihrer Kombination aus Geographie, Historie und Demographie. All das lässt sich in diesem gut strukturierten und äußerst kurzweiligen Buch erfahren. Ich vergebe 10 von 10 Porcina Semmerln und eines Abzug für den unglücklichen Sager am Buchrücken „Triest ist Wien am Meer!“. Das ist ein unter Ösis gern erzählter Unsinn und – wie der Inhalt des Buches von Bernard und Desrues beweist – völlig irreführend. Der Verfasser dieser Phrase war wohl noch ein Anfänger.
Rezension und Foto: Daniel Bauer