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Tonträger des Monats Dezember / Ö

ONK LOU: „Quarterlife“, Karmarama VÖ: 27. 11. 2020

Das kann doch nicht sein, dass „Quarterlife“ erst das zweite Album von Onk Lou, dem großartigen Musiker ist. Entdeckt haben wir ihn auch erst mit Verspätung, in der Scherbe im Feber dieses Jahres als eines der letzten Konzerte vor Lockdown 1.0. Der gebürtige Niederösterreicher könnte auch Isländer sein und zwar nicht nur in Sachen Rübezahl-Outfit, sondern auch mit seinem schön-schrägen Humor, seiner Coolness, seiner Herzlichkeit auf der Bühne. In der Szene gilt er seit einigen Jahren als Riesentalent und mit dieser Platte untermauert er das ordentlich. Der Mann kann nicht nur Gitarre, er kann auch Soul, er klingt in der einen Minute wie Lenny Kravitz immer gern geklungen hätte und in der anderen schon wieder ganz anders. Die zehn Songs auf „Quarterlife“ gehören für uns zum Besten, das die heimischen Bands heuer veröffentlicht haben. Ernsthafter Kandidat auf Titel wie „Platte des Jahres“. Und ab Mitte März 2021 hoffentlich auf Tour. Wenn alles klappt, kommt er dann am 26. 3. ins PPC. In der Zwischenzeit: Kaufen! Hören! Sich spätestens jetzt in Onk Lou verlieben!

Foto: © Haubentaucher.at 2020

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TOMBADOUR: „Kentertainment“, monkey. VÖ 20. 11. 2020

Tombadour, das sind zwei Wiener, die sich erfreulicherweise nicht entscheiden können: HipHop? Oder doch Jazz? Reggae oder gar E-Musik? Gut, einer der beiden war schon Basketball-Nationalspieler und Jazz-Pianist. Muss man in einer Bio auch erst unterbringen. Aber das ist Nebensache. Wichtig ist: Dem Duo gelingt fast aus dem Stand ein Wahnsinnsalbum, das zurecht auf FM4 rotiert und das zu den größten Überraschungen dieses Jahres gehört. Zehn Songs, die keineswegs flach getextet sind, und trotzdem vor allem: Spaß machen! Selbst wenn die Liebe angefleht wird („du bist soooo weit weg“). Dürfen wir sagen, woran uns das am ehesten erinnert? Schon an die guten alten Seeed. Vielleicht auch an die ebenfalls guten alten Beginner rund um den Nasenbären Jan Delay.

Aber, aber, das da ist Wien (siehe auch die Hit-Nummer Nr. 4). Und das wischt mit einer großen Lässigkeit alle deutschen Mitbewerber und alle heimischen Möchtegern-Gangsta vom Plattenteller. „Undercover-Riesen-Band“ sagen die monkeys über ihre Neuverpflichtung und das kann man nicht von der Hand weisen. Laut hören. Oft hören. Eine verdammt geile Scheibe.

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CONVERTIBLE: „Holst Gate II“, Noise Appeal Records LP/CD/Digital VÖ 12. 11. 2020

Der Platzgumer ist wieder da. Mit seiner Band Convertible hat er das zweite Album der Holst-Serie herausgebracht. Es ist eine wunderschöne Platte geworden, die – darf man das ungestraft sagen? – an die großen Zeiten der Popkultur erinnert, bis retour zu John Lennon. Das Klavier spielt eine tragende Rolle, die Stimme aber auch. Und weil in Pressetexten immer so gern die Rede ist von „aus der Zeit gefallen“. Was, wenn nicht das da!

Zehn Songs, keiner auch nur eine Sekunde kürzer als 3 Minuten, Scheiß auf Tiktok. Und so kommt am Ende eine gute Dreiviertelstunde heraus, die man auf wundervolle Weise genossen hat. Und zwar mit jedem Song, denn diese Platte ist nun wirklich kein Stückwerk. Für Menschen mit Sinn für Style. Für Menschen mit Geschmack.

Foto:  Convertible / Max Parovsky

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MARINSKI & LEPENIK: „The And Of The World“, Pumpkin Records / CD / VÖ: Nov. 2020

Marina Stiegler und Robert Lepenik haben hier etwas wirklich Besonderes vorgelegt. Eine CD, die auf den ersten Blick so gestaltet ist als sei sie eine 7 Inch. Eine Platte, die zu einem guten Teil im berühmt-berüchtigen Home-Office – oder besser Home-Studio – entstanden ist. Ein Album mit 9 Songs, das Reisen im richtigen Leben und Trips im Kopf zu einem großen Ganzen macht. Artwork ist hier übrigens kein leerer Begriff, Marina Stiegler hat die Platte und das Drumherum aufwändig gestaltet, jeder Song erhielt ein eigenes loses Blatt. Die Songs scheren sich einen feuchten Kehricht um Konventionen, die Länge variiert von 2:22 bis weit über 8 Minuten. Die Stimme wird begleitet durch allerlei Synthie, aber auch Gitarre, Akkordeon und Bass bekommen ihren Platz. Dazu gesellen sich der Rasenmäher („The Field“) oder Marmeladengläser. Keine Platte, die man im Vorübergehen konsumiert. Schon gar nicht, wenn ein Song mit dem Titel „Moment“ seine 8:53 Minuten dauert. Sondern? Ein Sammlerobjekt, das sich Zeit lässt zum Reifen.

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JANSKY: „LP1“ Problembär Records VÖ 20. 11. 2020

Schwesterlein und Brüderlein, Anna und Martin Rupp alias Jansky, machen ein Debütalbum und nennen es LP1. Es ist verspielt, poetisch, vergleichsweise ruhig. Ja und? Zauberhaft. Bisschen Piano, Gitarre, die Stimmen im Duett, dazu etwas Percussion und Kontrabass, Synthie und Bläser. Zwischendurch gehen die beiden komplett vom Gas und lassen das gemütlich dahinschrammeln. Dass die Platte irgendwo im Nirgendwo in Niederösterreich im Haus der Eltern aufgenommen wurde, hört man auch. Kein Stress, definitiv nicht. Ein sanftes Pop-Album, das unter die Haut geht. Und das sich auch in dem Dschungel an Neuerscheinungen ein schönes Plätzchen verdient hat.

Foto: © Christoph Stigleitner

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ROLLSTUHLFAHRER: „Denial Of Service“, Natal Rec., Digital Nov. 2020

Soll keiner sagen, dass wir hier gnadenlos dem Mainstream oder den sanften Indie-Sounds verfallen wären. Das Projekt hier mit dem seltsamen Namen ist in einem eigenen Universum zuhause. Und wer den (vorerst nur digitalen) Tonträger anhört, sollte gut auf seine Ohrwascherln aufpassen, der Tinitus kommt schneller als man glaubt. Es geht jedenfalls um die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit (und Gegenwart!) mit den Mitteln von vorrangig elektronischer Musik gemischt mit volkstümlichen und Kartellbruder-Liedern. Wer sich noch an die Grazer Partie „Schlauch“ erinnern kann oder vielleicht sogar von „Firn“ gehört hat (also eher nicht der Expertenbeirat des Landes Steiermark), wird die wilde Mischung auch leichter einordnen können. Wir zitieren mal von der Bandcamp-Seite, um die Hintergründe darzulegen:

„Take a seat in the wheelchair and have a roadtrip through a country incapable of coping with it’s burdened past. Oblivion and ousted memories rule the public perception, no one was guilty, just urged by the common situation back then – like Waldheim made us believe. Fourty years after the end of World War II his presidential campaign was the first big case spilled onto the surface beside very few court sentences directly after the war.

The former perpetrators got back, and, not even charged for committing war crimes, were integrated into society by nearly all political parties in the country. Their descendants are part of our lives now, without attracting attention. They operate in the same fields of profession like their ancestors, benefit from a subjacent climate of fascism which has not changed for decades.

Radical tendencies amplified by reactionary political systems in power threaten and terrorize our lives, hypocrisy and mendacity rule the situation. But it does not seem to evolve to the positive, the opposite is the case – things are getting worse.

These recordings reflect a permanent extradiction to a (post) National-Socialist society.“

Und wie hört sich das an? Sicher nicht mehrheitsfähig oder Formatradio-tauglich, aber sehr sehr spannend. File under: Art!

Ein entzückendes kleines Musikvideo durch das schöne St. Leonhard bis hin zu einem Burschenschafterhaus hat der Rollstuhlfahrer auch gemacht:

Rollstuhlfahrer – Kartell Lied from Natal Rec. on Vimeo.

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