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Buch des Monats Sachbücher

Familienbuch des Monats Jänner

Katja Jungwirth: “Meine Mutter, das Alter und ich.Wahre Geschichten”, Kremayr & Scheriau 2020

In unserer Jugend streben wir nach Unabhängigkeit, danach, uns vom Elternhaus loszulösen und ein eigenes Leben aufzubauen. Nach Jahrzehnten der Freiheit entwickelt sich jedoch – anfänglich schleichend – eine neue Abhängigkeit. Diesmal sind es nicht die Kinder, die Unterstützung benötigen. Vielmehr sind es die Eltern, die diese Hilfe auf unterschiedlichsten Wegen einfordern.

Katja Jungwirth schildert in einfühlsamen Momentaufnahmen die neue Beziehung zu ihrer alternden kranken Mutter, die geprägt ist von einstudierten Rollenmustern und sich gleichzeitig auf einer völlig neuen Ebene abspielt. Sie erzählt von Ängsten und Kränkungen, die dieser Wandel mit sich bringt, von Erwartungen und Enttäuschungen, die aus dem neuen, ungewollten Rollentausch erwachsen. Denn plötzlich verhält sich die Mutter wie ein trotziges Kind, die Tochter hingegen fühlt sich in der Rolle des vernünftigen Erwachsenen angreifbar und verpflichtet, die neue Situation zu lösen.

Mit einem Augenzwinkern weiß die Autorin von den Herausforderungen zu berichten, wie ein neues, geeignetes Bett zu kaufen, der Hauskrankenpflege zu vertrauen, immer aufs Neue die Mutter zu motivieren, und schließlich auch dem Drang, die neue Wirklichkeit mit Hochprozentigem hinunterzuspülen.

Die Geschichten erzählen warmherzig und auch in den frustrierenden Momenten voller Respekt und Liebe von dem immer komplexeren und bald unüberwindbaren Alltagsgeflecht eines Menschen, der am Ende seines Lebens angekommen zwischen Stolz und Scham schwankt. Sie schildern die Rat- und Hilflosigkeit aller Beteiligten, die Bedürfnisse und Bedürftigkeit, die sich auf der Vernunftebene oftmals nicht lösen lassen. Sehr offen und bewegend führt das Buch uns Leser*innen dorthin, wohin bis jetzt keine Ratgeber blicken, und vielen die Aufklärung erst durch die Praxis zuteil wird.

Katja Jungwirth baut mit dem gefühlvollen Einblick in ihre eigene Tochter-Mutter-Beziehung eine Brücke, die einen intensiven Blick auf die späten Lebenskapitel unserer Eltern- und Großelterngeneration wirft.

Die Redaktion empfiehlt das Buch nicht nur Betroffenen, sondern auch jenen, die gerne neugierig einen Blick in eine mögliche Zukunft wagen wollen.

 

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