Giuliano Musio: “Wirbellos”, luftschacht 2019
Martin hat zwei seltsame, weit auseinander liegende Augen. Auch sonst stimmt bei ihm einiges nicht. Er kann zum Beispiel nicht lügen. Zumindest das ändert sich allerdings im Verlauf dieses Romans, den der Schweizer Korrektor und Autor Musio Ende 2019 vorgelegt hat. Martin begeht nämlich ein absurdes Verbrechen und verstrickt sich auf den beachtlichen 450 Seiten immer weiter in Widersprüche und Lügen.
Musio, den wir schon seit seinem Debut für einen außergewöhnlichen Schriftsteller halten, gelingt es Personen und Örtlichkeiten so zu beschreiben, dass das Kopfkino augenblicklich startet. Nur lustig ist das bei weitem nicht, zumal wenn man bedenkt, dass einer der Protagonisten röchelnd in einer Art Koma dahin vegetiert und nur ab und zu “Mörder!” murmelt.
Die Sprache, die Spannung, die Phantasie, die eigenwillig verschachtelte Handlung, all das macht “Wirbellos” zu einem großen Roman, für den man sich die nötige Zeit nehmen sollte.
Bern, primärer Ort der Handlung, liegt bei Musio am Meer. Auch sonst richtet sich der Autor sein zumeist recht modriges Szenario so ein, wie es ihm in den Kram passt – respektive, so wie es sich sein Anti-Held Martin erträumt. Bald gelingt es diesem, die Tochter seines Opfers, Valerie, für sich zu gewinnen, auch wenn ihre Schwestern von Anfang an kein gutes Gefühl dabei haben. Dazwischen wird gelogen, dass sich die Balken biegen, Insekten werden aufgespießt, der halb totgeschlagene Forscher wird gepflegt. Am Ende kommt es zum Showdown mit einer Szene in der Kirche, die zum Fremdschämen einlädt und mit einem Todesfall, der überraschend kommt und doch absehbar war.
Mehr sei hier nicht verraten, außer: Jede Minute der Lektüre war ein schaurig-schöner Genuss.