VIECH: „Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“, Abgesang, VÖ 25. 10. 2019
Viech, eine der eigenwilligsten Musikformationen des Landes, sind gerade in Kasachstan, wie Band-Leader Paul Plut im exklusiven Haubentaucher-Interview erzählt. Die neue Platte mit dem kaum zu erinnernden Titelungetüm beginnt mit zentralen Fragen der Menschheit: „Kannst du mir verzeihen?“ oder aber auch: „Was will die SVA von mir?“ Wenn man das überhaupt mit irgendwas vergleichen kann, dann vielleicht mit einer gegen den Strich gebürsteten Songwriting-Tradition wie sie die Elements of Crime oder Tocotronic auf ihre Art jeweils sehr überzeugend vorgelebt haben. Wenn Plut ein Lied schreibt, dann ist das nicht einfach Text zur Musik, dann ist das Literatur.
Und der Sound? Der ist seit den ersten Viechereien kompakter geworden und auch ein kleines bisschen „massenkompatibler“, wobei wir da gerade selbst schmunzeln mussten. Massen anziehen werden die Viechs auch in Kasachstan nicht. Aber für ein zahlenmäßig feines Indie-Publikum reicht es längst, da ist FM4 übrigens nicht ganz „unschuldig“. Und das sollte mit den nun vorliegenden 15 neuen Songs eher mehr werden als weniger. Der Pressetext redet von Popgrößen der 90er Jahre wie R.E.M., The Cure, PJ Harvey, das ist an sich schon ein bisschen absurd und stimmt zu Beginn null, aber spätestens nachdem man das leicht depressive Instrumental „Körösistraße“ überstanden hat, versteht man es auch als Haubentaucher vom Dienst. „In der Nacht“ ist auf einmal alles einfach, direkt, poppig. Und ist man bei Song Nr. 15 durch, fängt man wieder von vorne an. Eine Platte, die ans Herz geht, die einen zwischendurch ganz schön durchbeutelt. Weil Trauer können Plut & Co. mindestens so gut wie Liebe.
Foto: Viech / © Gerfried Guggi 2019
VOODOO JÜRGENS: „‚S klane Glücksspiel“, Lotterlabel, VÖ 8. 11. 2019
Klar war die erste Platte unter dem Signet Voodoo Jürgens eine mittlere Sensation. Obwohl Eingeweihte den Sound (und teilweise auch DEN EINEN Song) schon von Vorgängergschichten kannten. Es machte allerdings damals auch den Eindruck, dass hier mit aller Kraft ein Hype gezimmert werden muss und der Voodoo sich lieber einen Damenspitz antrinkt, als dagegen zu steuern. Nun ist es da, das berüchtigte zweite Album, das angeblich so schwer fällt. Und man darf erleichtert festsstellen: Das ist wirklich leiwand geworden.
Musikalisch deutlich spannender als das Debut, behaupten wir. Und dass der Mann schlaue, hinterfotzige, bittersüße Lieder schreiben kann wie einst vielleicht noch am ehesten Ludwig Hirsch und später der Molden (okay und der Nino), das darf als bekannt vorausgesetzt werden. Die Songs erzählen vom Verlieren in allen Facetten. Beim Automaten zum Auftakt, am Eislaufplatz bei der Balz mit Butterfly, beim Einzug in die Reihenhaussiedlung, bei der Haltung von Haustieren (in Voodoos Fall zwei tote Fliegen). Louie Austen und die Jazz Gitti waren ein bissl beteiligt, das spricht durchaus auch für den Voodoo und seinen Status in Wien und Umgebung. Also ehrlich und ohne Herumgerede: Diese Platte ist ein Muss.Und zwar jeder einzelne der 15 Songs. Ab 2. 12. (Release-Show in der Arena) geht es los mit der Ö-Tour. Für den 4. 12. in Salzburg, den 5. und 6. in Innsbruck, den 11. 12. in Linz und den 13. 12. in Graz sollte man sich mal besser nichts vornehmen.
Für das folgende Video gilt: Aufwärts mit dem Lautstärkeregler!
WURST: „Truth Over Magnitude“, Sony, VÖ 25. 10. 2019
Leicht hat es Tom Neuwirth auch nicht, der einst als Conchita Wurst auszog, um glamourös wie kein/e zweite/r Österreich beim Song Contest zum Sieg zu verhelfen. Seither ist einiges Wasser die Donau runtergeflossen und der Thomas aus Bad Mitterndorf hat diverse Identitäten und Stilrichtungen ausprobiert, um jetzt ein Album herauszubringen, das überrascht. Kein tonnenschweres Pathos, eher leichter Electropop, teilweise schon noch im Song-Contest-Klischee verhaftet, in anderen Bereichen frei wie ein Vogel im Wind. Die Frage ist nur: wie ist die Richtung, wie gut ist man darauf vorbereitet, wenn einen die Brise eiskalt von vorne erwischt?
Auf den Punkt gebrcht: Wenn Wurst an dieser Platte wirklich jahrelang gefeilt hat, so wie es sich schließlich gehört in der Branche, dann ist das leider nicht aufgegangen. „Truth Over Magnitude“ wirkt unentschlossen, hat kaum Tiefgang, zu wenig Substanz. Vielleicht wäre es besser, einfach mal den ganzen Mainstream das Marketing, Management und sonstiges hohles Zeug zum Fenster rauszukübeln und sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Conchita-Tom hat eine phantastische Stimme, das ist aktenkundig. Und ist eine starke Persönlichkeit mit enorm positiver Ausstrahlung. Dazu eine schöne Klampfe und einen guten Songschreiber, dann wird das vielleicht was. Und mal ein Bier mit dem Voodoo statt Schampus mit irgendwelchen Promis.
Was hingegen nicht weiterhelfen wird? Auftritte in der Wiener Stadthalle mit den Symphonikern oder – noch viel schlimmer – eine TV-Show rund um das Thema Drag Queens auf einem der privaten Quatschsender mit dem Nervensägen-Duo Bill Kaulitz und Heidi Klum. Oida, Gnade!
LOVE GOD CHAOS: „Endling“, Engine Records VÖ 11. 10. 2019
Größe ist nicht, wenn man oft im Fernsehen oder im Radio ist. Größe ist auch nicht, einen Welt-Hit zu produzieren und dann jahrelang Mittelmaß. Größe ist es, durchzukämpfen, auch dann zu spielen, wenn die Halle einmal nicht zum Bersten gefüllt ist. Größe ist, viel Energie in ein Projekt zu stecken, weil man daran glaubt. In diesem Sinne verdienen die Leute rund um den Grazer Sänger Marcus Heider eh schon längst einen Orden. Jahr für Jahr gehen sie raus und tun das, was sie am besten können. Songs schreiben, Videos mit einem irren Aufwand drehen, Bilder entwerfen aus einem Universum, in dem keine Millionen wohnen, aber hoffentlich dann doch Tausende.
„Endling“, die neue Scheibe, ist wieder rockig, großteils deutschsprachig, kennt keine Scheu vor Offenheit. Neu ist die Zusammenarbeit mit dem Czech Film Orchestra, das gehörig Schwung in die Sache bringt. Alle neun Songs zusammengenommen klingt das noch reifer als zuvor, ohne dass hier jemals Routine einzieht. Neben dem bärenstarken Intro-Song „Commander“ würden wir „Fucking for Jesus“ als erste Hörprobe empfehlen. Und dann am besten mal live vorbeischauen, wenn die vier Grazer aufspielen. Am 22.11. sollte es im PPC bei Styrian Sounds eine Albumpräsentation geben. Am 11.12. in der Postgarage Bar und am 23.12. bei der “Lauten Nacht” im Explosiv sind die nächsten Graz-Termine, ehe es im Februar über die Lande geht. Infos da: www.lovegodchaos.at
Foto: Love God Chaos, © una.knipsolina 2019
MAN OF ISLE: „Planting Hearts“, Sissi Records, VÖ 15.11.
Ein neues Band-Projekt ist in der Stadt. Singer-Songwriter David Edlinger und Ex-Naked-Lunch Stefan Deisenberger sind der Man of Isle. Am ersten Album waren darüber hinaus Gäste von sehr feinen Bands wie Cari Cari, Sleep Sleep und Garish beteiligt. Was erwartet das verwöhnte Publikum?
Die bei weitem nicht immer luftig-leichte Lebensgeschichte von David Edlinger wird mit den Mitteln eines treibenden, manchmal verträumten Electro-Indie-Rock-Pop erzählt. Was sich an einem Film-Song („Shiva“ im jüngsten Streitfen von Hans Kammerlander) und am wohlwollenden Empfang auf Sendern wie Fm4 ablesen lässt, ist Man of Isle bereits kurz nach der Abreise schon an der richtigen Destination angekommen.
Die zehn Songs schaffen es, düstere Bilder in helle Sounds zu packen. Am Ende stehen einige Kracher im Raum, die die Anschaffung von „Planting Hearts“ mehr als rechtfertigen. Oder sagen wir es, wie es ist: Pflicht-Platte des Monats! Die Release-Show gibt es am 18. 12. im Rhiz in Wien.
WAGNER THE BAND: „Akward Hearts“, VÖ 5. 11. 2019
Oho, es geht also auch anders. Rainer Wagner bringt auf seinem Album Soul, Funk, Rock und vor allem Blues zu einem stimmigen Ganzen. Apropos Stimme: Die bringt der Wiener auf jeden Fall in sehr hoher Qualität mit. Und das Schöne an dem Projekt: Das ist nicht einfach Retro für Blues-Freaks, das funktioniert eigentlich auch auf vielen anderen Ebenen sehr gut. 11 starke Songs, die auch die sensible Seite im ausgewachsenen Kerl zeigen. Die ersten internationalen Blogs haben das mit bekommen, zumal der Mann sich auch sehr rührig um die eigene PR kümmert. Wie es live funktioniert? Kann man am 28. November bei der Release Show im WUK in Wien antesten.
Schaut doch einmal rein, ihr Freunde des guten alten Songs:
JOHN KLIRR: „Neckbreak and Bracelets“, pumpkin records November 2019
Gar nicht so weit weg von Wagner wohnt musikalisch gesehen John Klirr. Dominik Neudorfer, der diesen Alias seit 2018 nutzt, war schon mit Kreisky und Cari Cari unterwegs. „Chords ’n‘ Coffee“ hieß die damalige Band, falls sich noch wer erinnern kann.
Das zweite Klirr-Album (erfreulicherweise wieder auf Vinyl erschienen, wie so oft bei pumpkin) verbindet Blues mit Balladen. Sehr solides Songwriting, ein reifer Sound, der angenehm nach Kellerlokal duftet. Mr. Klirr selbst singt, spielt Gitarre und Banjo, Fabian Ratheiser bearbeitet Drums und Washboard, Andreas Gnigler den Bass, Alexander Hauenstein die Lead Gitarre und Barbara Krombholz zeigt am Saxophon, wo der Klirr den Jazz herholt. Eine Platte, die schon beim ersten Auflegen wie ein alter Freund ist. Und diesen Status auch nach mehrmaligem Durchlauf nicht verliert.
GO! GO! GORILLO : Taking Care of Monkey Business, monkey / in Kooperation mit Tempel Records Oktober 2019,
Zum Abschluss gibts was auf die Ohren. Und zwar mit Anlauf. Die vier Go-Go-Gorillos Martin Opitz, Rocco Carletto, Werner „King Kong“ Kolic und Marcus „Maul“ Ullmann genießen in der Alt-Wiener Rock-Szenerie so etwas wie Street Credibility. Primitiv, hypnotisch, solche Atrribute, die die Plattenfirma zur Ankündigung verwendet, sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Hier werden keine Umwege gemacht. Gitarre raus, ein Griff in die Pathos-Kiste, rabumm!
Schön, dass sich jemand der Sache angenommen hat und sie aufgenommen hat. Apropos: Die Platte ist zwar wohl im Studio entstanden, klingt aber wie live aus dem alten Flex, dem Q oder einfach aus einem grottigen U-Bahn-Tunnel. Für die allerletzte Nummer haben sich die Herrschaften dann eine kleine raffinierte Überraschung überlegt, die sie weit über die Limits der Retro-Liebhaber heben könnte. Wenn nicht, wird es den Gorillos auch herzlich wurscht sein. Regieanweisung: So laut spielen, wie es die Nachbarn erlauben, ihr linken Vögel und schrägen Affen da draußen!