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Musik

Tonträger des Monats April / INT

LAMBCHOP: “This (is what I wanted to tell you)”, City Slang VÖ 22.3.

Was soll man über diese große Band überhaupt für Worte verlieren? Wer sie bis jetzt noch nicht kennt, hat die Musikgeschichte verpennt, wenn der Reim erlaubt ist. 

Kurt Wagner, der seine Partie mal als “most fucked-up country band in Nashville” bezeichnet hat (Selbstironie mit einem Schuss Wahrheit), hat sich für die neue Scheibe wieder etwas Neues einfallen lassen. Insider werden Lambchop ohnehin immer raushören, aber alle anderen werden überrascht sein, aus welcher Ecke die Band nach der extrafeinen Platte “Flotus” diesmal kommt. 

Ein gewisses Faible für Verschrobenheit durfte man Mr. Wagner auch schon bisher zuschreiben, das neue Album treibt die Liebe zur mittelgut gelaunten Kammermusik mit zurück genommenem Indie-Charakter aber auf die Spitze. Leise ist das neue leise – und man weiß nie, ob und wann die Musik dann vielleicht doch explodiert. Spoiler-Alert: Tut sie nicht. Nicht diesmal. Auf verdrehten Samtpfoten schleichen sich da 8 Songs an, die sich schwerpunktmäßig um die Liebe drehen dürften. Grenzgenial der Name des ersten Tracks: “The new isn’t so You anymore”. Dabei tragen bis auf “Flower” alle Songs das “You” im Titel. Die Platte ist in jeder Phase ohne Tadel, nur einen Fehler hat Herr Wagner diesmal gemacht. Er hat Graz bei der Tourplanung vergessen. Und so weisen wir sehr gezielt auf den 19. April hin. Da sind Lambchop nämlich im WUK.

THREE FOR SILVER: “Blue Ruin”, Foggy Night Records, VÖ 12.4.

Endlich wieder was Neues aus Portland. Das lustige Trio “Three for Silver” hat sich für 2019 zweierlei vorgenommen. “Blue Ruin”, das soll nach Winter klingen und nach verlassener Stadt. “Red Moon”, das wird Sonne und Pool und Party. Da klingt natürlich zweiteres anziehender, schon wegen der Sehnsucht nach Wärme, aber wir sagen: Die erste Platte, die jetzt im April vorgestellt wird, ist schon einsame Klasse. Holpert und stolpert, jammt und fetzt. 

Der Pressetext erzählt was von Tom Waits und Nick Cave und auch Gogol Bordello – und liegt damit natürlich nicht falsch. Aber so einen Bass haben weder Waits noch Cave jemals zur Seite gehabt. Und klar die Stimme von Lucas Warford ist tief, aber sie ist vor allem auch unberechenbar. Willo Sertain wiederum bietet Vocals, die kristallklar durch die Lüfte segeln. Zum Verlieben. Und deswegen ist das eine Platte, die unser Herz erfreut, die mitreißend ist und cool bis zum Abwinken. Erfreulicherweise sind die drei aus Oregon im April in Österreich (plus Nachbarländer) unterwegs.

Und zwar:
Do 04.04. Anziehbar | Dornbirn
Do 25.04. Orpheum | Graz
Fr 26.04. Club Glam | Feldbach
Sa 27.04. Roter Gugl | Leitersdorf bei Hartberg
So 28.04. Lendhafen Cafe | Klagenfurt
Mo 29.04. Academy | Salzburg


BEN BARRITT: “Everybody’s Welcome”, Musszo Records, VÖ: 12. 4.

Was ist denn das? Seit wann darf Jazz so dermaßen locker aus der Hüfte sein? COOL in Großbuchstaben. Ben Barritt kriegt das hin. Der Sänger, Gitarrist und Songwriter aus London hat schon mit Leuten wie Bobby McFerrin und Kenny Wheeler gearbeitet, das Publikum in der Royal Albert Hall mitgerissen, Bands wie Holler My Dear produziert. “Everybody’s Welcome” ist nicht nur jazzy, sondern auch enorm funky und auf angenehm dezente Art auch poppig. 

Ein vielschichtiges wunderbares Album, das die Feinheiten aus jedem Instrument kitzelt. Ein Trompetchen hier, ein unaufgeregtes Sax dort. Mittlerweile lebt Barritt vorwiegend in Berlin, ist aber auch stets eifrig auf Tour. Mit dabei auf der Platte sind einige der besten Studio-Musiker, die man in Deutschland und London für Geld bekommen kann. Yasmin Hadisubrata an den Keyboards, Michael Dau und Chris Farr an den Drums sowie Hannes Hüfken (E-Bass), Trompeter Nick Smart sowie  Saxophonist und Bass-Klarinettist Mark Lockheart. 

Aufgenommen wurde die Platte in Berlin und London und aus diesem Spannungsfeld gewinnt sie auch einiges an Kraft. „Everybody’s Welcome“ bezieht sich auf Onkel Donald Trumps Wahlkampagne. „Sie haben die Werbung zwischen Episoden von ‘The Walking Dead’ platziert, was die Angst gegenüber Fremden und Außenseitern geschickt geschürt haben dürfte“, spekuliert Barritt. „In meinem Song lade ich die Zombies ein, ins Haus zu kommen, um eine respektvolle und faktenbasierte Unterhaltung zu führen.“ 5 Sterne, mindestens. Und hoffentlich auch bald live in Österreich…

JAKUZI – Hata Payi, City Slang, VÖ 5. 4.

Ganz leicht hat man es nicht in der Türkei, wenn man so eine Musik macht – und dann noch dazu auf Türkisch singt. Jakuzi ist Synthie-Wave-Pop zwischen düster und eigentlich eh gut aufgelegt. Bläst gewaltig durch die Boxen, aber natürlich überhaupt nicht auf die Art, wie es türkischstämmige Autofahrer bei uns an der Kreuzung mit offenem Fenster gerne zelebrieren. Das ist schließlich keine Retro-Folklore, sondern die zeitverzögerte Istanbuler Antwort auf The Cure oder Dark-Emo-Bands der 1990er. 

Nach einer Kassette 2016 und einem ersten Album 2017 kommt nun “Hata Payi”, zu deutsch ungefähr so etwas wie “ein Teil des Fehlers”. Manche Nummern funktionieren sicher in verschmurgelten Lokalitäten wie dem Grazer Q, andere klingen durchaus nach größeren Hallen. Ab Anfang Mai wird man sich in Deutschland überzeugen können, wie schön das in die Knochen fährt. Das Durchhalten der Band rund um Sänger Kutay Soyocak hat sich ausgezahlt. Big like!

SAD PLANETS: “AKRON, OHIO”, Tee Pee Records, VÖ: 19. 4. 

Wenn zwei Größen wie John Petkovic (Cobra Verde, Sweet Apple, Guided by Voices, Death of Samantha) und Patrick Carney (The Black Keys) aufeinander treffen, dann wird sogar ein mittelprächtiges Ami-Kaff wie Akron, Ohio, zu einem Glanzpunkt im Rock-Universum. Beide kommen aus der Stadt, die einst für ihre Reifen bekannt war. 

Später sorgten Bands wie Devo, The Cramps, Chrissie Hynde und Tin Huey für dicke Luft. Und nicht nur Petkovic und Carney verließen Akron auf der Suche nach neuer Inspiration.

Bei einem Heimatbesuch vor zehn Jahren freilich trafen sie im Kunstmuseum der Stadt aufeinander und lernten sich kennen. Das Album ist eine Hommage an ihre Stadt und ihre Freundschaft. Dann schneit sogar zufällig J Mascis (Dinosaur Jr.) vorbei und spielt auch gleich ein wenig mit. Gitarre, Schlagzeug, ein wenig Synthie und dazu Stimme. So einfach kann das sein. Und wer sich nach diesen 10 Songs nicht schon jetzt auf weitere Werke der Traurigen Planeten freut, muss ein ganz ganz dummer und unkultivierter Mensch sein. 

BETH GIBBONS & The Polish National Radio Symphony: Henryk Górecki Symphony No. 3, Domino Rec. VÖ 29. 3.

Apropos trauriger Planet. Beth Gibbons ist eine Galaxie für sich, so viel steht fest. Mit Portishead gelangte sie zu Weltruhm, sie hat aber weit mehr drauf als das die Trip-Hop-Karriere andeutet. Als Komponistin genießt sie großes Ansehen, wenn auch vielleicht nicht hierzulande. Es muss ein Wahnsinnsabend gewesen sein, am 29. November 2014 in der Nationaloper von Warschau. Jonny Greenwoods von Radiohead war da, das Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks unter der Leitung von Krzysztof Penderecki und eben die charismatische Britin. Die Sinfonie der Klagelieder von Górecki, das klingt doch nach großem Spaß oder nicht?

Es gibt sicherlich einfachere Aufgaben, als sich in einen polnischen Text hineinzufühlen, ohne die Sprache zu können. Aber Beth Gibbons meisterte dies nach intensiver Vorbereitung. Der Film zum Konzert wurde vom National Audiovisual Institute in Polen produziert und von Regisseur Michał Merczyński gedreht. Am 31. März wird er im Babylon in Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz auf großer Leinwand gezeigt. Jason Hazely, der musikalische Direktor des Projektes wird eine Einführung in den Film geben. Beth Gibbons wird persönlich anwesend sein. Interviews möchte sie allerdings keine geben, auch das wird in den Presseunterlagen extra festgehalten. 

Die drei Stücke haben naturgemäß ihre Längen. Das erste Lento – Sostenuto tranquillo ma cantabile dauert an die 25 Minuten. Aber wenn Mrs. Gibbons singt, dann ist sowieso alle Zeit und Last der Welt vergessen. Der Himmel sinkt hernieder und die Sonne verneigt sich in Demut. Die Klagelieder bringen die Engel zum Weinen. Klingt übertrieben? Dann hören Sie sich das Ergebnis an! Und als kleinen Vorgeschmack haben wir den Film-Trailer für Sie aufgetrieben. “Viel Spaß!”  

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