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Musik

Tonträger des Monats November / Ö

CONVERTIBLE: “Holst Gate”, Noise Appeal Records, VÖ 16. 11. 2018

Einer, der in den vergangenen drei Jahrzehnten viel mehr zur österreichischen Musik beigetragen hat, als der durchschnittliche Formatradiohörer je verstehen wird, ist wieder da. Hans Platzgumer. Einst ein junger Wilder aus dem noch wilderen Tirol, der das Forum Stadtpark rockte (damals durfte man das noch sagen). Wenig später schon international bestens vernetzter Leader von HP Zinker, der sich mit einem Haufen der steilsten Musiker dieses Planeten die Bühne teilen durfte.

Platzgumer, dem es irgendwie in der Zwischenzeit schon ziemlich reichte mit dem Musikerleben und der als Schriftsteller reüssierte, zog sich dann aber doch nicht in den Vorruhestand zurück. Ganz im Gegenteil: Sein Alter Ego Colin Holst hat mit seiner Band Convertible ein unglaublich solides und verflixt schönes Album am Start. Schon das Cover (unbedingt die Vinyl-Version kaufen!) verrät es: Hier gibt es keine E-Cars, sondern ein prachtvolles rotes Cabrio. Hier wird auch nichts recycelt und dennoch ist “Holst Gate” vor allem auch eine Hommage an die Indie-Rock-Geschichte. Wenn man mag, kann man Anklänge an skandinavische Bands, an Iggy Pop, an 100 andere heraushören. Man kann sich aber auch einfach zurücklehnen, ein Glas Whisky in der Hand und: Hemmungslos Genießen. Geniale Platte, Mr. Platzgumer.

DER NINO AUS WIEN: “Der Nino aus Wien”, Problembär Records Oktober 2018

Ja richtig gelesen, der Nino hat schon wieder eine neue Platte. Und sie ist diesmal sogar nach ihm selbst benannt. Und zwar womit? Mit Recht. Denn nach genau zehn Jahren im “Show”-Geschäft weiß er mittlerweile, wohin er will und mit wem und warum überhaupt. Zwölf Nummern, die viel über ihn und sein Leben erzählen, die zumeist auf übertriebene Schmähs verzichten, die angenehm abgeklärt sind und sich dennoch zwischendurch herrlich in Rage steigern können, etwa wenn der eigene Verein gegen Ried wieder nur ein Unentschieden daherstolpert.

“Es ist schon wichtig, dass man okay ist zu einander”, sprechgesangt der Nino und wer würde ihm da widersprechen wollen. Die sehr gute Nachricht: Der junge Mann aus Wien hat wieder Schwung aufgenommen, vergessen ist das (unserer Meinung nach) etwas lahme Vorgängeralbum. Wir freuen uns schon auf die nächsten Auftritte. Nämlich da:

6. und 7. 11. Wolkersdorf, babü
8. 11. (Zusatzkonzert!) und 9.11. Wien Arena
14.11. Linz, Posthof
15.11. Klagenfurt, Stereo Club
16.11. Graz, Autumn Leaves Festival
28.11. Wien, Sargfabrik Wien mit Ernst Molden



DRAMAS: “Nothing is permanent”, Fabrique Records Oktober 2018

Von zwei gestandenen Musikern wie Hans Platzgumer und dem Nino zu zwei Newcomern. DRAMAS, das sind Viktoria Winter und Mario Wienerroither. 2016 formierten sie sich zum Duo, erst heuer im Frühjahr erschien ihre erste EP, die aber schlug gleich ordentlich ein. Der Sound orientiert sich nicht am heimischen Eckbeisl, sondern am britischen Club. Die Songs oszillieren folgerichtig zwischen Dancefloor und Chill-Out-Zone.

Nichts ist permanent und bekanntlich ist auch nichts perfekt, auch diese verdammt gut gemachte Platte nicht. Aber wenn die Dramas so weiter machen, werden sie den Sprung über die Grenzen des deutschsprachigen Raums schneller schaffen, als wir “raus aus der Komfortzone” sagen können. Spezial-Tipp für Neugierige!

MELT DOWNER: “Alter the Stunt”, Numavi Records & Rock is Hell, Oktober 2018

Als im vergangenen Jahr wie aus heiterem Himmel das Debut-Album der drei Melt Downer erschien, schrieb unser Musikredakteur von “bösestem Schwermetall, direkt aus der steirischen Stahlindustrie”. Jetzt legt der umtriebige Wolfgang Möstl samt seinen Brüdern im Geiste Mario Zangl sowie Florian Giessauf noch einen drauf. “Alter the Stunt” wurde in Graz an vier Tagen eingespielt, allein das spricht Bände. Die Platte ist noch vielschichtiger geworden, wobei der Haudrauf-Faktor auf keinen Fall zu kurz kommt. Die alten Melvins stehen da ebenso Pate wie der intelligentere Teil der Headbanging-Szene. Dazu beuteln die drei Herren auch noch Videos aus der Tasche, die wie düstere kleine Juwelen funkeln. Gut, dass es auf Youtube noch keine Geruchsfunktion gibt! Kurz gesagt: So muss Punkrock 2018. Vorsicht, ihr lieben Kinderlein: Hier gehts in den tuhunklen Wahalt!

MILE ME DEAF: “HDD Backup” 2LP, Siluh Records Oktober 2018

Und weil es gerade so schön ist, gleich noch ein Werk (sogar ein doppeltes) vom Herr Möstl aus dem oststeirischen Bezirk Weiz. Der Mann, der als Produzent auch beim oben gelobten Nino seine Finger im Spiel hat (sowie beim Voodoo und anderen mehr), hat mit diesem umfangreichen Backup die (bislang) wesentlichsten seiner musikalischen Welten eingefangen. Das reicht vom Pop über Rock Springsteen’scher Prägung bis hin zu so etwas wie Psychedelic. “The Jesus and Mary Chain” ist nur eine von vielen möglichen Inspirationsquellen, die einem da einfallen.

Die ersten Songs wurden 2011 veröffentlicht, das meiste aber wurde überhaupt noch nie publiziert und könnte daher selbst für intime Kenner der Band überraschend kommen. Trotz der DIY-Attitüde, die Möstl zuweilen lebt, kommen die vier Seiten außerdem mit einem bestechenden Sound daher. Und eines muss man festhalten: Spätestens mit diesen 29 Songs hat sich MMD seinen Platz in der ersten Reihe der heimischen Indie-Szene bummfest abgesichert.

Foto Mile Me Deaf: © Beate Ponsold 2018

THE JEKYL & HYDEPARK BAND: “Peng”, Pumpkin Records 2018

Die Jekyls kommen aus Salzburg und sind seit 27 (!) Jahren aktiv. Lustigerweise schreiben sie sich selbst ein wenig anders als auf dem Plattencover, nämlich mit Abstand zwischen Hyde und Park, aber das sind Nebensächlichkeiten. Schönes Bandmotto: „…if Paris is in Texas, why can’t Salzburg be in Arizona?” Und so klingt die Platte auch. Nach staubiger Landstraße, quietschenden Bremsen.

In all den Jahren durften Jekyl & Co. mit Leuten wie den Beasts of Bourbon oder Dinosaur Jr. einen musikalischen Abend verbringen, allein dafür hat es sich schon gelohnt. Das Coole ist: Trotz unbestreitbaren Alters klingen die vier Herren keineswegs angegraut. Würde man nicht wissen, wer dahinter steht, man würde eher eine junge wilde Partie vermuten, die mal wieder knöcheltief in die Rockhistorie abtaucht. Traurigerweise ist das die letzte Platte, die Michl Matschedolnig abgemischt hat, der Producer der Band ist im Juli verstorben. So ist “Peng” auch eine Hommage an ihn geworden.

FARCE: “Heavy Listening”, Futuresfuture Records Oktober 2018

Veronika König aus Wien hat sich mit “Farce” einen ausgesprochen schönen Künstlernamen – eigentlich eher gleich eine ganze Kunstfigur – ausgedacht. Dabei pfeift sie auf die übliche Musikproduktion und nimmt die Sachen lieber selbst in die Hand. Das Ergebnis ist ein Album, das mit Samples, Beats und Stimme überzeugt. Fast eine Stunde performt Farce da durch Soundwelten, die in dieser Form wirklich noch niemand betreten hat. Das kann durchaus auch ein bissi wehtun, solange es nur schön im Loop bleibt und bei jeder Umdrehung mehr Speed bekommt. Der Pressetext nennt St. Vincent, Charli XCX oder Grimes als legitime Referenzen, aber Farce selbst wäre das wahrscheinlich egal. Sie durchschneidet lieber eiserne Zäune zwischen den Genres und wagt sich etwa mit “I hate Berlin” bis zum Hals in den Hiphop. Wer auch immer sich darüber beschwert, dass da draußen nix mehr Aufregendes passiert, dem pfeffern wir diese Platte hin. “Heavy Listening”, besser hätte man es nicht sagen können.

FLUT: “Global”, Problembär Records Oktober 2018

Irgendwo in einer deutschen (?) Gazette haben wir kürzlich gelesen, jetzt wo das mit “Bilderbuch” und “Wanda” schön langsam abflaue, sei es höchst an der Zeit, FLUT zu hören. Okay, FM4 ist am ausbrechenden Hype auch diesmal wieder nicht ganz unschuldig, aber in Summe ist das alles schon ein bisschen erstaunlich. Denn “Global” kommt doch so unschuldig daher, ziemlich retro, poppig, synthie-fiebrig. Oder doch nicht?

Ein bisschen was vom Post-NDW Sound der frühen Flut-Jahre ist noch da, aber darüber liegen nun Schichten, die man auch “berechnend” nennen könnte oder “zeitgemäß” oder “perfekt für den aufgeklärten Mainstream”. Selbst wenn der beigelegte Pressetext exakt das Gegenteil behauptet.

Tut leid, aber das ist alles ein bisschen zu viel an “Hör mal, wir sind das neue große Ding”. Inklusive den obligatorischen Falco-Anklängen. Na bitte. Wer davon noch lange nicht genug hat, hier sind FLUT demnächst zu erleben:

16.11. Lustenau, Carini Saal
17.11. Linz, KAPU
23.11. Grieskirchen, Einfach So Festival
28.11. Wien, WUK
30.11. Graz, ppc
1.12. Wolkersdorf, Outback
21.12. Salzburg, Rockhouse
22.12. Kremsmünster, Kulturzentrum mit Mavi Phoenix

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