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Musik

Tonträger des Monats Dezember / Ö

MP THE KID: „Dreams from above“, Futuresfuture VÖ 1. 12. 2018

Die erste Frage, die man sich angesichts der Menge an neuen Platten stellt: Mit wem fangen wir an, wem geben wir die meiste Aufmerksamkeit?

Sorry, Leute, aber das kann im Dezember nur einer sein: MP The Kid. Auch wenn der Künstlername längerfristig vielleicht ein bissi blöd klingen mag, die Musik ist großes Kino und Kid hat definitiv eine feine Zukunft vor sich. Wien wird sowieso seit einiger Zeit zur RAP-Metropole und da passt dieser Sound und Stil perfekt zwischen die bereits besetzten Stühle.

Nicht so schräg wie Jugo Ürdens oder EINFACHSO, nicht so radikal wie Yung Hurn, aber auf seine Art sehr super. Jetzt ist es halt nur so: Eigentlich kommt der junge Herr gar nicht aus Wien, sondern aus OÖ. Aber auch dort gibt es ja etliche, die in Sachen Rap wichtige Vorarbeit geleistet haben. Und MP ist schon näher an der Wiener New School als am Linzer Sound von Texta & Co. Das erste Album von MP ist dem DIY verpflichtet sagt der Pressetext, wir hätten es nicht gemerkt. Das ist 1a internationales Format, auch was die schön verschwurbelten Storys in den Videos betrifft. Der eine oder die andere hat Kid vielleicht schon beim Frequency oder als Support Act im Gasometer gesehen, jetzt wird es Zeit für eine intensivere Beschäftigung. Die Platte ist eine kleine Sensation. Am 1. 12. gibt es die Album Release Party im Solaris Linz. Und da sollten vielleicht sogar die Wiener- und Grazerinnen hin.

MATTHIAS FORENBACHER: „Le Monde diplomatique“, Pumpkin Records  VÖ 11/2018

Die Welt ändert sich und mit ihr die Ansicht, was Diplomatie ist und wofür sie gut ist. Forenbacher, so etwas wie ein Stammgast auf Pumpkin Records thematisiert die Veränderungen der letzten Monate in den USA und in Europa nicht nur textlich. Er hat sich auf die Reise gemacht und in Italien und Österreich Teile des Albums aufgenommen, auch mit lokalen Musikern wie einer kalabresisch-sizilianischen Blasmusik-Combo.

Die Stimme erinnert an die US-Schule der Singer-Songwriter vom großen Arlo bis zum großen Bruce. Auch der Sound ist klassisch und die Songtitel sind es ebenfalls. Dennoch ist „Le Monde diplomatique“ eine erfrischende Platte, die nicht nach Aufmerksamkeit schreit, sondern in aller Ruhe den Gehörgang erobert. Und hat man sich erst einmal auf die 13 Songs eingelassen, findet man kaum wieder raus aus dieser Welt – und spielt die CD einfach wieder von vorne. Das Album hätte sich zwar auch auf Vinyl gut gemacht, aber vielleicht kommt das noch… Live am 30. 11. ab 18.30 in der Kunsthalle Graz (CvH 42a) mit Star-Gast Johannes Silberschneider, Visuals vom Großmeister der Schwarzweiß-Fotografie Christopher Mavric und mit Jacques Bush von Spring And The Land an der Gitarre.

HAUNTED BY THE REMOTE: „Neoromancer“, Kruse Kontrol Digital VÖ: 27. 11. 2018

Moment, der Plattentitel – woran erinnert das? Ach ja an den „Neuromancer“ von William Gibson, einen verdammt guten Science-fiction-Roman. Der Band Haunted by the Remote geht es aber weniger um die Zukunft als vielmehr um die Gegenwart. Liebe, Jobsuche, der Sinn des Lebens und das alles im Sound-Gewand eines gut abgehangenen Indie-Rocks.

Die 3min-Grenze ist von gestern, die Remotler legen es gerne so zwischen 6 und 8 Minuten an. 2016 erschien das erste Album der Band noch auf eigenem Label, nun ist man bestrebt ein paar Kreise weiter zu ziehen. So hat man für das Mastering Jack Sherley engagiert. Und damit sind wir auch bei der Besetzung: Stefan Silly (Voc., git) hat sich mit Mitgliedern der Hidden by the Grapes zusammengetan, namentlich mit Christian Steiner (git), Richard Kahlbacher (Bass) und Bernhard Jammerbund (Drums).

Und wie klingt der Neoromancer? Cineastisch, grungig, gerade richtig episch. Wie würde der böse Online-Händler sagen: „Leute, die das anhören, wären auch gerne in: Seattle.“ Nettes Detail: Das Plattenlabel kommt vom Lendplatz in Graz und hat Bands wie Lambda im Angebot.

MATTHÄUS BÄR: „Zucker“, Phonotron VÖ: 30. 11. 2018

Im Frühling 2017 stießen wir erstmals auf den Bären, der mit Musik für Kinder reüssierte, sukzessive aber das Auditorium erweiterte und mittlerweile auch in Seniorenstudenten-Magazinen wie profil und Falter gelobt wird.

Zurecht, denn man sollte sich vom Kinder- und Jugendzimmer-Sound und den scheinbar simpel gestrickten Texten nicht irritieren lassen. „Zucker“, das ist leichtfüßiger Pop, egal für welches Alter.

Live am 2. 12. im WUK und ab Anfang März dann auf Tour.

GUTLAUNINGER: „Was Neues“, Lotterlabel VÖ: 23. 11. 2018

Das schließt jetzt super an den Bären aus dem Kinderzimmer an. Der Mann mit der namensgebenden freundlichen Grundstimmung trägt bevorzugt einen goldenen Anzug, fährt Puch Maxi und macht partytaugliche Musik als wäre die Neue Deutsche Welle neu auferstanden. Zu Synthie-Sounds, die klingen wie aus der Sardinenpopdose singt er mit grandiosem Wiener Zungenschlag, was fast schon Falco-Qualitäten hat. In keinem anderen Song wird das so deutlich wie in „Hektische Liebe“, das wir da unten als lässiges Prater-bei-Nacht-Video eingebettet haben, das ihr aber eh schon von FM4 kennt. Wenn nicht, der Gutlauninger ist ein Disco- und Partymonster und deshalb täten wir uns sehr über ein paar fesche Konzerte freuen. Seit der Release-Feier am 8. 11. in der Wiener Fledermaus ist da aber anscheinend nichts mehr passiert. Kommt hoffentlich bald. In der Zwischenzeit: Reinhören, kaufen, auflegen. 

KROOKED TOOTH: „Bad News“, Pumpkin Records VÖ 11/2018

Genug der Fröhlichkeit. Die Wiener Band Krooked Tooth hat leider schlechte Nachrichten. Aber immerhin werden sie in soliden Blues mit Rock-Splittern gegossen. Deutlich im Mittelpunkt des Geschehens neben der Stimme von Emanuel Preuschl stehen die Trompete seines Bruders Julian und der Bass von Sebastian Müller.

Vielfältig und daher abwechslungsreich sind diese „Bad News“ und interessanterweise funktioniert der Sound auf Vinyl deutlich besser als auf CD. Digital liegt irgendwie so in der Mitte. Sie merken schon, die Plattenfirma hat an alles gedacht – vor allem auch an eine extraschöne grafische Gestaltung der LP-Rückseite im Stil des frühen 20. Jahrhunderts.

Die Platte selbst sollten sich eher doch nur Leute kaufen, die wirklich Freude an Bluesrock haben. Das vielfach abgenutzte Prädikat „erdig“, es passt da voll und ganz.

ERNESTY INTERNATIONAL: „but now the demagogues won“, EMG: VÖ 8. 12. 2018

Und auch das passt: Der Ernesty mit den „Demagogen“ nach den „Bad News“. Herr Tiefenthaler ist hier auf dem Haubentaucher ja beileibe kein Unbekannter. Aus dem März 2009 stammt die erste Plattenbesprechung, die wir in unseren Archiven zu „Ernesty International“ gefunden haben. Und auch wenn jede Platte an die anderen anschließt, so darf man doch sagen, dass „but now…“ eine der stärksten ist, vielleicht sogar die beste bisher.

Es ist, wie der Titel schon vermuten lässt, schon auch ein politisches Album. Aber keines, das in jeder Sekunde mit dem Protestplakat herumfuchtelt. Leise ist das neue Laut? Das galt für Ernesty eh schon immer. Und so ist auch die Querverbindung zu Forenbacher (siehe oben) naheliegend und erlaubt. Es hat sich etwas geändert und das spiegelt sich nicht nur in der ZIB2, sondern auch im Privatbereich. Ernesty und Forenbacher singen folgerichtig nicht über die große weltpolitische Krise, sondern über „Tired Lovers“ (E.) oder „I don’t believe you“ (F.). Und verpacken dann Textzeilen wie „oh, democracy will die“ in den Song, dass es nur so rauscht in den Gehirngängen. 10 Nummern hat Tiefenthaler zusammengestellt, die man am besten im Stück hört. Zum Beispiel am 8. 12. bei der Album-Präsentation im Theater Drachengasse.

BUCHBERGER: „Wurst. In fünf Akten“, Buchberger 2017

Zum Abschluss noch eine Wurstplatte. Was? Eine Wurstplatte. Oder auch einfach: ein verdammter Geniestreich. Zwar schon aus dem Vorjahr, aber irgendwie erst jetzt bei uns auf dem Bildschirm aufgetaucht. Die ZEIT hat sogar schon Ende 2016 über den Herrn Riebenbauer berichtet, der diese Jahrhundert-Idee hatte und knallhart durchzog.

„Gehts eini“ ist da zu hören und das ist eine glasklare Einladung zum Weg ins Paradies für die betreffenden Schweinderln. Denn weder die Platte mit Originalgeräuschen aus der oststeirischen Fleischerei Buchberger spart den Tod aus noch das Booklet, das der LP beigelegt ist. Die Vinylversion (in 2. Auflage) ist mit 300 Stück limitiert und spätestens nach diesem Bericht wird die Wurstplatte wohl bald aus sein.

Was gibt es außer oststeirischen Fleischern noch zu hören? Gewetzte Messer, Geschmatze und vor allem elektronische Sounds, die mit dem Instrumentarium der Fleischerei spielen. Und an dieser Stelle muss man auch festhalten: Nicht nur das Konzept ist großartig, auch die Umsetzung. Und die Grafik. Die Website. Und einfach alles. Heißt: Wurstplatte des Jahrhunderts. Sehen und hören Sie selbst, wie der Buchberger seine Platte auflegt: wurstinfuenfakten.com

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