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Klassiker des Monats

Das Theater Quadrat zeigt “1984” von George Orwell

Der große britische Autor Orwell entwarf mit seinem Roman, der 1949 und damit nur ein Jahr vor seinem Tod erschien, eine düstere Vision, die heute in manchen Belangen trotz aller demokratischer Bemühungen längst eingetreten ist oder übertroffen wurde. Hatte Orwell den Text allerdings vor allem als Mahnung vor totalitären Regimen wie dem Stalinismus und dem Nationalsozialismus gedacht, so ist der Überwachungsstaat, den wir heute erleben, vor allem auch durch kapitalistische Züge geprägt. “Es geht uns nur um die Macht”, heißt es sinngemäß im Stück, das das Grazer Theater Quadrat aus dem Roman gemacht hat. Man könnte stattdessen auch sagen: “Es geht uns nur um den Ausbau der Marktmacht”.

Auch wenn wahrscheinlich viele den Roman gar nicht gelesen haben, so sind Elemente daraus längst in den allgemeinen Wort- und Bildungsschatz übergegangen. Der “Große Bruder” gilt heutigen TV-Konsumenten als längst zu Tode genudeltes Format, in dem durch permanente Beobachtung aus nahezu unbekannten Menschen sogenannte Prominente gemacht werden. Orwells “Gedankenpolizei” kommt heute wesentlich schicker daher und heißt Google, Facebook, Amazon oder NSA, je nachdem. Doch solche gegenwärtigen Bezüge braucht die Truppe rund um Werner Halbedl und Alexander Kropsch gar nicht, sie beschränkt sich auf eine puristische Darstellung des Originals. Und gerade durch den Verzicht auf ohnehin offensichtliche Parallelen überzeugt der Abend im Theater im Keller. Gezeigt wird auch nicht die technische Komponente, etwa Orwells “Teleschirm”, sondern die menschlichen und zwischenmenschlichen Auswirkungen des Psycho-Terror-Regimes.

Der Beginn ist überaus stark inszeniert. Vier Akteure sitzen in Unterwäsche, die Köpfe in Boxen gesteckt, aus denen Bilder und Töne auf die dahinter liegende Leinwand projiziert werden. Gesichter als Spiegel der Seele? Selten sah man das eindrücklicher. Die Aufsichtsperson schaltet die Übertragungen aus den Boxen ein und wieder aus, ein und wieder aus. Und so steigen auch wir ein – nämlich in die Geschichte von Julia und Winston. Die beiden sind ein rebellisches Liebespaar, das bald merkt, dass selbst das Opfern des eigenen Lebens kaum nachhaltige Wirkung zeigen würde. Aber eines zumindest nehmen sie sich fest vor, einander niemals zu verraten.

Schön wärs…

Dank der mehr oder weniger subtilen Gewaltmethoden des Regimes scheitert dieser Vorsatz freilich ebenso wie jeder Umsturzversuch scheitern muss. Wer selbst die Gedanken überwacht und bewusst Widerstandsnester wie den alten Buchladen am Leben lässt, der kann eben perfekt kontrollieren, was gesagt, getan und erträumt wird und braucht dazu keine berittene Polizei. 

1984 in der Version der Grazer Theaterkompagnie, die hier zuletzt lobend besprochen wurde, besticht vor allem durch die schauspielerischen Leistungen. Der wie so oft grandiose Rudi Widerhofer gibt einen ambivalenten, leisen Buchhändler, der doch tatsächlich noch Dinge aus der Vergangenheit aufbewahrt und seinen Laden für konspirative Gespräche auffallend gern zur Verfügung stellt. Werner Halbedl als autoritärer und doch bewusst lässiger Wächter und Kommentator des Systems macht einem Angst und Bange. Alexander Kropsch und Amrei Baumgartl sind ein Paar voller Licht- und Schattenseiten, das uns tief blicken lässt. Und Ulla Kurikka, die (un)heimliche Entdeckung dieses Abends, singt und schreit, serviert und beobachtet auf eine faszinierend abgründige Art und Weise. Prädikat: Empfehlenswert. Gerade auch für Menschen, die nach 1984 geboren wurden.

noch zu sehen am:
31. Mai, 1., 2., 6., 8., 9.,
14., 15., 16. Juni
jeweils um 20 Uhr

Theater im Keller
Münzgrabenstraße 35, 8010 Graz

Karten und weitere Infos gibt es hier
Foto: © Theater Quadrat Graz 2018

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