»ECHTZEITALTER«
Nach dem Roman von Tonio Schachinger.
Schauspielhaus Graz
Autor Tonio Schachinger ging einst in ein Wiener Elite-Gymnasium. Diese Jahre scheinen deutliche Spuren hinterlassen zu haben, denn »Echtzeitalter«, sein preisgekrönter Roman, weist zweifellos autofiktionale Züge auf, wie man heutzutage so schön sagt. Erfreulicherweise ist das Buch – und erst recht das Theaterstück – KEIN Schüler Gerber 2.0. Auch wenn der junge und ziemlich nerdige Till von seinem Lehrer Dolinar regelrecht durchs Schuljahr gequält wird. In seiner spärlichen Freizeit entwickelt sich der Junge zu einem international sehr erfolgreichen Gamer, wobei sein Lieblingsspiel »Age of Empires 2« eigentlich schon ziemlich aus der Zeit gefallen ist.
Seine Klassenkolleg:innen am strengen Marianum (unschwer zu erkennen: das Wiener Theresianum) haben auch ihre Schwierigkeiten mit dem reaktionären Deutschlehrer und seiner Vorliebe für Reclam-Hefte. Aber Till ist eindeutig sein liebstes Opfer. Indes: Die Pubertät wird zur Zeit der Liebe und so kommen sich Feli und Till immer näher. Wäre da nicht die anstehende Matura und der Quälgeist am Lehrerpult, es könnte alles so schön sein…
Das Stück, vom Kollektiv F. Wiesel gemeinsam mit Regisseur Timon Jansen für die Bühne adaptiert, sollte unserer bescheidenen Meinung nach das Highlight der aktuellen Schauspielhaus-Saison werden. Zumindest ist es ein Pflichtprogramm für alle aufgeschlossenen Lehrerinnen und Lehrer. Die GenZ wird ihre wahre Freude haben. Nicht nur, aber auch wegen der authentischen Sprache, die stellenweise recht derb werden kann.
Die Bühne (Hannah von Eiff und Jost von Harleßem) ist grandios, sie bietet Raum für das Klassenzimmer, für kleinformatiges Puppenspiel, für die Optik von Gaming-Plattformen wie Twitch. Der Figuren- und Modellbau von Jost von Harleßem und Hanke Wilsmann soll hier extra gewürdigt werden.
Dominik Puhl spielt den Till nicht, er wird zum unsicheren, rothaarigen, spielsüchtigen Till. Prädikat: Lost. Otiti Engelhardt und Anna Klimovitskaya als Feli und Fina überzeugen als freche Girls im strengen Umfeld. Und Mervan Ürkmez bringt einmal mehr eine ambivalente Figur auf die Bühne, die so agiert und agitiert, dass es dem alteingessenen Abo-Publikum im Schauspielhaus wohl die Nackenhaare kräuselt vor Aufregung. Besonders hervorzuheben ist zudem Paul Graf, der mit seiner Dolinar-Puppe für großartige Momente zwischen Komik und Psychoterror sorgt.
Der Autor wirkte nach der Premiere zufrieden. Das ist nicht nichts. Und das Publikum applaudierte sich die Handflächen wund. »Echtzeitalter«, das ist so ein Theaterabend, den man durchaus mehrmals genießen könnte. Warum auch nicht, das Stück ist bis in den Mai 2025 fix gebucht.
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Termine, Details und Tickets unter schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Fotos: Lex Karelly / Schauspielhaus Graz