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Beisl Dramen, die das Leben schrieb Sachbücher

Retrobuch des Monats

Vanessa Wieser (Hg.): „Branntweiner, Blue Box und Bermuda Dreieck. Unterwegs im Wien der 80er und 90er“, Milena Verlag 2024

Ach, wie schön ist dieses Buch. Es führt uns Zeitzeug:innen und gern auch interessierte Nachgeborene ins wilde U4 der Prä-Internet-Ära (sofern uns Conny, der strenge Türsteher durchlässt), in die Blue Box, das alte Chelsea, das alte und neue Flex, in die Arena und in manch seltsames Beisl. Das Wien ab Mitte 1980 war grau, da sind sich viele Autorinnen und Autoren dieser Anthologie einig. Aber eben auch dunkel und düster auf eine hinreißende Art. Man hatte kaum Geld und kam trotzdem immer irgendwie zu einem Bier, zu einer Smart und zu einem legendären Konzertbesuch. Das Buch versammelt, um all das zu bezeugen, Menschen, die nicht einfach nur dabei waren, sondern die quasi Stars aus dem Underground waren. Amina Handke, immer von der Ferne bewundert. Walter Gröbchen, einer der Heroes aus der Musicbox. Der steirische Provinz-Flüchtling Christian „Fetish“ Fuchs. Rainer Krispel, Hans Platzgumer und auch die Herausgeberin Vanessa Wieser, eine der jüngeren in dieser illustren Runde.

Die Geschichten führen uns in eine Welt, die großteils versunken, aber nicht vergessen ist. Und in eine Stadt, die damals aus Grazer Perspektive schon groß war, aber nicht annähernd so turbulent und international wie heute. Wien, das war eben nur stellenweise cool. Aber wenn, dann mit einer gewissen Ausdauer. „Eigentlich waren wir immer alle besoffen“, heißt der Text von Blue-Box-Mitbegründer Herbert Molin so treffend.

Es ist nicht nur eine nostalgische Reise in unsere Vergangenheit, es ist auch ein interessantes Zeitdokument. Was alles möglich war, bevor es Smartphones, das Internet und Downloads gab. Und weil natürlich nicht alles gesammelt werden konnte, plädieren wir für ein Internetforum. Dann könnten wir die schöne Geschichte beitragen, wie Doris Knecht mit ihren „Pirates“ im alten Chelsea „sang“. Oder wie Cobains Witwe im U4 reichlich bedüdelt mit ihrer Band „Hole“ einen krachenden Punk-Abend ablieferte.

Danke an den Milena Verlag. Das kann erst der Anfang vom Ende gewesen sein!

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