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Dominik Ruisinger: “Das Ende von Social Media. Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen”, Schäffer-Poeschel Verlag 2024

Na wusch! Der gelernte Journalist und PR-Berater Dominik Ruisinger hat die Kunst der Übertreibung offensichtlich studiert. Denn natürlich geht er nicht davon aus, dass Social-Media-Plattformen wirklich (demnächst) tot sind. Er will allerdings daran erinnern, wofür sie gedacht waren und was aus ihnen geworden ist. Seine Ausgangsthese: Facebook & Co. sind nur mehr Content-Schleudern für Ads und Empfehlungen, für Influencer-Zeugs. Alles schön durch die Meta-Filter gejagt. Die Beiträge unserer Friends, der Dialog mit ihnen, all das ist verloren gegangen. Wirklich?

Wir sind (leider) so gut wie jeden Tag auf Facebook, Insta, Linkedin, aber auch auf Threads, Mastodon etc. – und nirgendwo kann die Rede davon sein, dass die Postings von Freundinnen und Freunden weg sind. Ja, manche gehen verloren, der Algo siebt sie gnadenlos aus, weil sie “nicht relevant” sind. Aber gerade der Mensch zählt als Content-Lieferant für Herrn Zuckerberg enorm stark. Es sind eher die Unternehmen, die ob der erbärmlichen “organischen Reichweite” leiden. Und gerade deswegen setzen so viele Marken ja auch auf LinkedIn auf die Postings ihrer Mitarbeiter:innen – Stichwort Corporate Influencer.

Hm, also wie jetzt?

Das alles bestreitet Ruisinger auch nicht. Im Buch holt er erst einmal weit aus und schildert die Entstehungsgeschichte der einzelnen Kanäle. Das ist einleuchtend für Menschen, die sich mit dem “Social Graph” bislang nicht beschäftigt haben, aber eher entbehrlich für Leute, die ohnehin vom Fach sind. Eine durchaus interessante Diskussion führt bzw. beschreibt der Autor dann in der Folge: Was ist eigentlich “social”? Sind TikTok und Youtube überhaupt in diese Kategorie zu packen? Es spricht einiges dafür, dass der passive Konsum hier überwiegt. Andererseits: Wer stellt den Content denn rein? User:innen. Und Unternehmen. Wer hat mehr Erfolg damit? Häufig erstere. Und ganz so inaktiv statt interaktiv ist TikTok ja dann auch nicht. Die Kommentare, Likes und Video-Antworten sind zahlreich. Es ist auch nicht so, dass die “Recommendation Media” nun das Um und Auf wären. Der noch recht neue Kanal Threads etwa funktioniert nach ähnlichen Prinzipien wie das gute alte Twitter. Und die Nische lebt, im Fediverse oder auf Business-Plattformen wie LinkedIn wird immer noch von Mensch zu Mensch kommuniziert – auch wenn zugegebenermaßen immer mehr KI zum Einsatz kommt.

Auch das thematisiert Ruisinger solide und ausführlich. Generell gewinnt das Buch in etwa ab dem ersten Drittel an Relevanz und Aussagekraft. Manchmal ist der Autor allerdings etwas gar flott bei seinen Vorhersagen. So sieht er den Niedergang von Threads schon als Fakt an und übersieht dabei, dass der Kanal gerade eine Stärkung als Plattform für Sport (EM, Olympia) und Politik (Trump vs. Harris) erfährt und viele User:innen mit großer Gefolgschaft gerade dieser Tage von X auf Threads übersiedeln.

Was hilft bei all dem Abgesang? Ein Revival der Integrierten Kommunikation, sagt Ruisinger. Was damit gemeint ist? Eine handfeste Strategie, die alle (digitalen) Medien und Maßnahmen umfasst. Ein Schwerpunkt auf Community Building (etwas, das unter anderem die heimische Politik gerade sehr beschäftigt). Dann gibt es auch den schon erwähnten Trend zum Einsatz von Corporate Influencern, der zumindest auf LinkedIn unübersehbar ist. Spätestens an diesem Punkt liest sich das Buch dann übrigens eher wie ein Lexikon als eine klare Analyse. Am Ende kehrt Ruisinger dann wieder zu seinen Prognosen vom Beginn zurück. “Social Media” ist also kaputt. Aber es gibt auch keinen Weg zurück in die Ära der massenmedialen Beschallung des Publikums. Ob das stimmt oder das Buch schlecht altern wird? Wir wissen es nicht.

Aber: Wir können das Werk trotz seinem alarmistischen Unterton dennoch empfehlen. Als Rückschau auf die vergangenen 20 Jahre. Als guter Überblick über die Gegenwart. Als Zusammenfassung von etlichen Studien zum Thema. Und als Nachschlagewerk für all jene, die noch gern gedruckte Bücher vor sich haben und keine Blogs und Newsletter.

Apropos: Auf der Website des Autors gibt es digitale Erweiterungen und Aktualisierungen.

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