“Baro d’evel: Qui som?”
Die französisch-katalanische Kompagnie war schon des Öfteren bei La Strada und so haben wir schon etliche ihrer stets außergewöhnlichen Stücke erlebt. Im Haubentaucher-Archiv findet sich etwa eine Kritik zu “Bestias” aus dem Jahr 2018. Dort ist der interessante Satz zu lesen, die Truppe habe ein “philosophisches, fast dadaistisches Programm erstellt, das zwischen grandiosen Szenen und nihilistischem Leerlauf wechselt”. Sechs Jahre später gilt Ähnliches. Allerdings in weit größerem Maßstab.
Baro d’evel zaubert ein phantastisches Bühnenbild in die Grazer Oper. Ein vertikales Meer spuckt Menschen wie auch Unmengen an Plastikmüll aus. Zuvor haben die Akteurinnen und Akteure mit Ton faszinierende Maskengesichter geschaffen, sich in einer langen Slapstick-Szene rutschend und stolpernd über die Bühne bewegt, gewagte Bewegungen vollführt, Tanzszenen gezeigt, die Kenner:innen jubilieren lassen.
Ein Hündchen und ein kleines Mädchen bilden den Kontakt zur realen Welt. “Wer bist du?”, fragt das Kind den bärtigen Mann. “Ich bin ich”, entgegnet er. Der Anfang ist komisch und spannend zugleich. Und dann kommt irgendwann der erwähnte Leerlauf. Diesmal ist er weniger nihilistisch als vielmehr sehr philosophisch und moralisch. Vielleicht ist das Ganze auch einfach etwas überfrachtet. “Too much” meinte der Kollege der Kronenzeitung in seiner an sich sehr wohlwollenden Premierenkritik. Zu viele Botschaften und dabei zu wenig Gelegenheit, an die Geschichte anzuknüpfen. Das gelingt bei dieser Suche nach der eigenen Identität nämlich nur ansatzweise.
Das Publikum teilt sich nach unserer Beobachtung ab der Hälfte in zwei Gruppen. Die einen applaudieren dann auch am Ende heftig und werden dem Kritiker der Kleinen Zeitung zustimmen, der das letzte Drittel des Stücks als großartige Synthese der Elemente Komik, Akrobatik und Tanz beschreibt. Die anderen, zu denen sich der Schreiber dieser Zeilen zählt, waren entweder über- oder unterfordert – oder womöglich sogar beides gleichzeitig. Man hat den Eindruck, dass Baro d’evel vor lauter Ideen den roten Faden verliert und dass die überbordende Phantasie der Verständlichkeit der Geschichte keinen Gefallen erweist. Vielleicht steckt hinter alldem auch eine Portion “absurdes Theater” in französischer Tradition. Schön, aber einfach “too much” für ein heutiges Publikum.
Zum Finale aber sind wieder alle eins. Die Gruppe wird zur Marching Band, verlässt mit den Zuseher:innen das Opernhaus und bläst dem Grazer Nachtleben noch einmal einen kraftvollen Marsch.
La Strada 2024 ist damit für uns schon wieder Geschichte. Einmal aber gibt es “Qui som?” noch zu sehen. Am 4. August ab 19.30 in der Grazer Oper.
Foto: © La Strada Graz / Nikola Milatovic