Bettina Balàka: Der Zauberer vom Cobenzl. Roman. Haymon 2023.
Hermine von Reichenbach sollte vor dem Grazer Joanneum ein Denkmal aufgestellt werden. Schließlich war sie Mitte des 19. Jahrhunderts die erste Frau in Österreich, die an dieser Institution Arbeiten zur Botanik verfasst hat. Quasi als akademische Gasthörerin, denn Frauen war das Studieren damals bekanntlich nicht erlaubt.
In Bettina Balàkas jüngstem Roman „Der Zauberer vom Cobenzl“ erzählt Hermine ihre eigene Geschichte und die Geschichte ihres Vaters, Carl Ludwig Freiherr von Reichenbach, sowie die ihrer Schwester mit dem seltenen Namen Ottone. Der Vater hat es durch die Entwicklung technischer Verfahren, z. B. für den Eisenguss und zur Holzkohleerzeugung, während der aufkommenden Industrialisierung in der kuk-Monarchie zu großem Reichtum und einem Adelstitel gebracht. Mit dem Geld kauft er sich unter anderem das (nicht mehr existente) Schloss Cobenzl in Wien. Einen Großteil seines Vermögens investiert er danach in die Erforschung der von ihm entdeckten Lebensenergie, die er „Od“ nennt: Diese Energie zeigt sich besonders sensiblen Menschen – Epileptikern, Migränepatienten, Hypersensiblen – im Dunklen als Flammenaura. Da das Od ein allgemein schwer fassbares Phänomen ist, das sich dem naturwissenschaftlichen Nachweis verlässlich entzieht, gerät der streitbare Querkopf in der akademischen Welt zunehmend ins Abseits.
Bettina Balàka ist bei den Recherchen für ihren vorletzten Roman, „Die Tauben von Brünn“, auf den unkonventionellen Freiherr von Reichenbach und seine beiden Töchter gestoßen. Unkonventionell ist er nicht nur wegen seiner kuriosen Charaktermischung aus technischem Genie und verbohrter naturwissenschaftlicher Spinnerei; sondern auch, weil er als Witwer seinen beiden Töchtern Hermine und Ottone jeweils eine fundierte Ausbildung ermöglichte: Ottone war Klaviervirtuosin, sie starb allerdings relativ jung in Venedig am Sumpffieber. Hermine wurde vom Vater als wissenschaftliche Gehilfin eingesetzt, und sie konnte als Botanikerin einen Studienaufenthalt am Joanneum in Graz absolvieren. Hier ließ sie mit einer wissenschaftlichen Arbeit über die von ihr entdeckte und so benannte „Verthyllung“ (schlag nach bei Wikipedia) aufhorchen. Später heiratete sie gegen den Willen des Vaters den Wiener Foto-Pionier, Gelehrten und Unternehmer Carl Schuh, wodurch es zum Bruch mit dem Herrn Papa kam.
Bettina Balàkas „Zauberer vom Cobenzl“ ist eine vielschichtige literarische Zeitreise in die Welt des Biedermeier und der Märzrevolution von 1848, in der selbst in Wien für ein paar Monate Aufbruchsstimmung herrschte.