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Tonträger im September/Oktober

Manchmal fragst du dich, warum du dir das alles immer wieder antust. Wer interessiert sich denn noch für „echte“ Musik, wenn schon die ersten KI-Stars die Pop-Welt erobern? Wer liest noch ein textlastiges Web-Magazin wie den Haubentaucher, wenn man das alles auch häppchenweise auf Insta bekommt? Und dann kommt so eine Platte daher: I Am. Und es dämmert dir: Egal, wie viele dich wahr- und ernstnehmen. Du bist da. Egal, wie viele Aufrufe du auf Spotify hast. Du bist eine Band, die es wert ist. Egal, ob du Preise bekommst oder nicht. Du bist Künstler:in. Und das zählt… 

MAIIJA: „I Am“, Noise Appeal Records VÖ 15. Sept. 2023

Marilies Jagsch ist eine fixe Größe in der heimischen Musiklandschaft. Und doch war sie einige Jahre im Hintergrund. Sie wirkte bei VIENNA REST IN PEACE mit. Sie schrieb Musik für Theaterperformances. Und: Sie arbeitete an diesem Solo-Album, das das eigene Ich in den Mittelpunkt stellt. Jeder der 11 Songs beginnt mit „I am…“. Ein Vulkan, ein Echo, „consumed“ und anderes mehr. Die Stimme verzaubert, geht vom Hellen ins Düstere ohne je in der Dunkelheit zu versinken. Ein Klavier ist zu hören. Streicher. Synthie. Gitarre. Es ist eine Platte zum Immer-wieder-hören, eine Platte, die uns mit der Welt versöhnt oder zumindest mit diesem einen Tag, der sich garstig gebärdet, eine Platte, die man nicht „so nebenbei“ hören sollte.
I am… a fan of Maiija.

Foto: Michael Poetschko

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KOBRAKASINO: „Sonne, Mond & Dynamit“, Problembär Records VÖ 22. 9. 2023

Manchmal dauert es halt doch ein bissl länger als man glaubt oder hofft. Im März 2021 schrieb die Krone schon, die junge Grazer Band rund um die Hiti-Brüder würde demnächst ein ganzes Album auf den Markt werfen. Jetzt zweieinhalb Jahre später ist es da. Das Quartett ist in der Zwischenzeit zum Trio mutiert. Sebastian und Benno Hiti sowie Christian Schöttel sind nach Wien übersiedelt. Eine Gastrolle auf dem Album hat Resi Reiner, auch sie zog einst von Graz aus, um die Popwelt – oder zumindest den deutschsprachigen Teil davon – zu erobern. Demnächst gehen Frau Reiner und die Kobras denn auch auf Tour durch deutsche Städte. Köln, Münster, Wiesbaden, Berlin, Hamburg, Nürnberg und München werden bespielt, ehe die jungen Herren im Oktober dann Wien und Graz aufsuchen. Und das Album? Bietet verträumten, manchmal auch leicht verkaterten Pop mit Hang zum Artrock. Mit sehr sehr guten Texten und einer musikalischen Melange, die bei der Zielgruppe bestens funktioniert. Vielleicht ein bisschen viel Zusammenfassung, was in den vergangenen Jahren sonst so geschah (wir nennen jetzt keine Namen, aber ihr kennt sie alle), und ein bisschen Luft nach oben, was die Eigenständigkeit angeht. „Diese Band kennt kein Risiko“, liest man in der Selbstbeschreibung auf Spotify. Wenn das so ist, freuen wir uns schon auf die nächste, noch wagemutigere Platte.

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HIDDEN BY THE GRAPES: „Opus“, Kruse Kontrol Digital, VÖ 15. 9. 2023

Die versteckten Trauben aus Graz scheuen noch weniger Risiko, würden wir meinen. Damit wird man nicht reich, aber man kommt auch herum. Über 300 Konzerte hat das Trio Christian Steiner (vocals, guitars), Richard Kahlbacher (bass, vocals, accordion) und Bernhard Jammerbund (drums, vocals, synth) in den vergangenen Jahren gespielt. Respekt! Musikalisch irgendwo im Noise und Post-… angesiedelt bringt der fünfte Longplayer erst mal einen Song, der mit der „awful german language“ abrechnet, gefolgt von: Songs auf deutsch wie „Kranke Gehirne“ oder „Weil ich schon an mir selbst zweifle“. Eine – sorry – geile Hymne/Anti-Hymne ist dann „Immer mehr“. Natürlich nicht voll auf den Punkt, sondern „hidden“, fast ins Jazz-Rock-Eck geschoben. Und dann kommt der nächste Hammer: „Eure fehlende Liebe tötet mich“. Und spätestens ab diesem Zeitpunkt kriegt diese Platte eine Dynamik, eine Sogwirkung, dass wir alles liegen und stehen ließen und wieder von vorne begannen…

Foto: Christian Lach

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SULUKA: „313“, Jumber Lack Records, VÖ 25. 8. 2023

Manchmal wäre es besser, man tät gar nichts sagen. Hätte der Grazer Luka Sulzer etwa nie gesagt, dass ihn Stevie Wonder und Lauryn Hill beeinflusst haben, würden ihn manche Klugscheißer auch nicht an Soul-, RnB- und Hiphop-Größen zu messen versuchen. Da kann man natürlich nicht gewinnen, aber das ist auch nicht das Match. Die Platte mit dem interessanten Titel „313“ hingegen, die ist echt ein Gewinn. Sie groovt, sie swingt, sie hat Style. Der gelernte Keramiker und studierte Infodesigner besingt übrigens auch die Mama, wie das die Kobrakasinos in „Ketchup“ tun. Und dann ist da dieses Video, das so Graz ist wie kein zweites in diesem Jahr. You gotta love the Terrassenhaussiedlung:

 

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SCHNEEBERGER & BAKANIC QUARTETT: „AVANTI, AVANTI“, Preiser Records, VÖ 1.9.2023

Wir wechseln die Tonart. Die Herren Diknu Schneeberger und Christian Bakanic stellen wir hier sicher nicht vor, die muss man kennen, wenn man behauptet, sich für Musik zu interessieren. Sonst halt googeln. Die Songs auf „Avanti, Avanti“ stammen je zur Hälfte von dem einen und dem anderen. Schneeberger geigt an der Gitarre, Bakanic spielt die Steirische Harmonika. Das Quartett wäre nicht komplett ohne  Julian Wohlmuth an der Rhythmusgitarre und Martin Heinzle am Kontrabass. Das Tempo macht dem Titel des Albums alle Ehre und ist zumeist atemberaubend. Das Spektrum reicht von spanischen Klängen bis zur heimischen Volksmusik. Erst am Ende kehrt mit dem „Lotusblatt“ Ruhe ein. Es ist eine fantastische Kooperation, ein Album, das in jeden Haushalt gehört. Live muss das auch wunderschön sein. Die vorerst letzten Gelegenheiten dafür:
8. November Zentrum Feldbach
11. November Syrnau, Zwettl
25. November Seekirchen, Kunstbox

Foto: Julia Wesely

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RUHMER: „Cherryland“, töchtersöhne VÖ 22. 9. 2023

Manchmal muss man länger suchen und wird doch nicht fündig. David Ruhmer stammt aus Linz und ist als Schlagzeuger seit längerem aktiv. Viel mehr kriegt man auf die Schnelle nicht raus, die Website ist nur ein Shopping-Portal – und egal, wie oft wir so was beklagen, es wird sich wohl nicht mehr ändern. Die Platte haben wir trotzdem aus der Vielzahl an Neuerscheinungen ausgewählt, denn: Sie hat Power, Geschmack, Stil. Sie greift tief in die Kiste mit der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, dazu gibt es die Optik wie bei einer 1970er Serie. In dem Kirschenland möchte man vielleicht nicht dauerhaft leben, aber ein paar heitere, beschwingte Stunden mit dem Groove von Ruhmer machen deinen Tag bunter. Am 22. 9. in Linz. Am 23. 9. in Wien. Und demnächst in eurem Plattenregal.

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EDGAR: „Different“ Blind Rope Records / monkey, VÖ 22. 4. 2023

Manchmal bleibt was liegen. Aber dann findet man es doch noch. Und es sagt ja auch niemand, dass immer alles brandneu sein muss. Edgar, klingt bekannt, aber hast du die Platte wirklich schon zur Kenntnis genommen?

Stephan Kutscher kommt aus einer Ecke, die wir normalerweise nicht so intensiv bearbeiten. Er hat mit Kutscher’s Blues Band Österreich bei der European Blues Challenge vertreten. Aber dann: 2022 erblickte EDGAR, Stephan Kutschers Pop-Rock-Alter-Ego, das Licht der Welt. Das Debut-Album spielt mit Klischees, zieht wohl auch die Kollegen von Bilderbuch zart durch den Kakao, erinnert kurz an den frühen Bowie, drischt zwischendurch ordentlich in die Drums. Es ist eine rundum überraschende Scheibe. Bissl Blues gibt es dann übrigens auch noch. „Different“, aber echt!

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