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herbstblog #1: Die Nackten und die Tauben

Adrienn Hód / HODWORKS: „Voice of Power“

Manchmal ist es gut, wenn man nicht zur Premiere geht, vorab aber auch nicht die Kritiken der mehr oder weniger gut aufgelegten Kolleg:innen liest. Die Kulturredakteurin des Standard zum Beispiel war eher grimmig gelaunt bei und vor allem nach der ersten Aufführung von „Voice of Power“, aber es war halt auch ein langer Tag rund um die Eröffnung des steirischen herbsts… 

Worum geht es hier überhaupt? In der Helmut-List-Halle wurde mit einigem Aufwand gegenüber der Publikumstribüne eine zweite errichtet. Dort agiert erst einer, dann noch ein halbes Dutzend junger Menschen, die sich alle im Laufe des Abends ihrer Kleider entledigen. Die Avantgarde, könnte man meinen, ist doch nicht tot, riecht aber zunehmend verschwitzt.

Der Abend beginnt mit der Aufforderung an das Publikum den Performer zu berühren – und endet mit vielen Berührungen der Gruppe untereinander. Dazwischen gibt es die Stimme der Macht zu hören. Sie kommt aus dem Hintergrund und wird von Zoltán Mizsei im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert. Grandios, komisch, tiefgründig. Begleitet durch Übertitel auf der Leinwand erfahren wir so unter anderem die Grundregeln im Falle eines Krieges, wir werden mit der Liste der Menschenrechte bekannt gemacht und zum Finale werden wir mit sämtlichen nur denkbaren Taubenrassen und den für sie vorgeschriebenen Käfigdimensionen bei Vogelschauen konfrontiert.

Die Performer:innen verrenken sich, laufen mit Birkenstocks durch die Gegend, eine zählt von 1000 herunter, ein anderer verkauft ein paar Zeichnungen. Es wird gegangen, gerannt und zum Schluss sind alle nackig. Wie das zusammen passt, muss sich das Publikum selbst erarbeiten. Die einen finden das amüsant, die anderen rätselhaft und ein paar gehen auch vorzeitig. Bei der Premiere, so berichtete die Kollegin vom Standard, flüchtete man „in Scharen“, aber so viele Scharen wären bei der zweiten Aufführung gar nicht da gewesen.

Ob die Entblößung der Sache auf inhaltlicher Ebene etwas Gutes tut, kann man natürlich diskutieren. Genauso gut könnte man darüber streiten, ob nicht die unzweifelhaften performerischen Qualitäten der Truppe stärker gewirkt hätten, wenn die Damen und Herren ihre Unterwäsche anbehalten hätten. Die Choreographie der Ungarin Adrienn Hód hat aber so oder so ihre Vorzüge. Und besondere Bewunderung gilt dem Brasilianer Marcio Kerber Canabarro für das minutenlange Posieren mit dem riesigen Eiswürfel. Wir wissen jetzt nicht viel mehr über Menschen und Dämonen. Aber einiges mehr über Tauben…

 Foto: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

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