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Bio-Buch des Monats

Gerry Friedle: „Lebensgefühl. DJ Ötzi – die Biographie“, ecowin 2021

Der Mann mit der weißen Haube am Cover mit einer Pose, die ein wenig schwer zu interpretieren ist: Denkt er nach? Tröstet er sich selbst? Oder bietet er seinem matten Haupt den nötigen Halt?

Sei es, wie es sei. Der medial derzeit fast schon überpräsente Tiroler Sänger schildert in diesem Buch seine Lebensgeschichte auf offene und unverblümte Art. Fast immer zumindest. Denn eines hätte uns schon genauer interessiert: Da war wirklich kein Ghostwriter mit an Bord? Alles selbst getippt? Erstaunlich. Die Tonalität klingt nämlich eher nach Interviewaussagen. Aber gut, nachdem im gesamten Buch kein Hinweis auf redaktionelle Mitarbeit zu finden war, wollen wir dem Autor und dem Verlag aus dem Dosenimperium Glauben schenken.

Was in Sachen Stil noch auffällt: der Ötzi springt ziemlich stark vom einen zum anderen Gedanken. Das bringt durchaus Dynamik in das Geschehen, führt aber auch dazu, dass Geschichten nicht auserzählt werden. So schafft es Friedle, seine Eindrücke am „Camino de Santiago“ auf knappen zehn Seiten abzuhandeln. Andere schreiben darüber ganze Bücher (und nicht die schlechtesten!).

Eines wollen wir aber gleich außer Streit stellen: Es ist uns bewusst, dass zwischen der Person Gerry Friedle und der Bühnenfigur DJ Ötzi ein markanter Unterschied besteht. Der Klappentext fasst das so zusammen: „DJ Ötzi macht Laune. Gerrry Friedle macht Mut.“

Zumindest an Argument Nr. 2 ist was dran. Die schonunglose Aufdeckung der schwierigen familiären Verhältnisse und die Tatsache, dass der Entertainer es dennoch ganz nach oben in die Charts geschafft hat, dabei aber doch verhältnismäßig angenehm am Boden blieb, verdient großen Respekt. Die wirklich unheimlich traurige Kindheit, die körperlichen Gebrechen, Friedle spart kaum etwas aus. Das ist spannend zu lesen und hätte mit etwas Geschick ein größeres Werk ergeben, als es die Autobiographie letztlich wohl sein will. Allein die tragikomische Figur des Vaters (übrigens ein echter Anton aus Tirol) hätte mehr Stoff hergegeben.

Aber Friedle will keine Intellektuellen überzeugen, dass der Ötzi eh ein guter Kerl ist. Er will lieber seinen Fans Hoffnung geben. Voll okay. Ganz ohne Absurditäten und Übertreibungen geht so etwas dann natürlich nicht über die Bühne. Die eine oder andere Selbstzuschreibung als Genie und Künstler, die ausführliche Darstellung des eigenen Talents und der geradezu übermenschlichen Sensibilität wirkt – nun ja:  ein bisserl „cringe“ würde man heute sagen. Noch schräger sind Passagen wie die: Friedle trinkt keinen Alkohol, never ever, sagt er. Was ihn aber nicht daran hindert, Champagner aufs Zimmer zu bestellen. Er hört „stundenlang in der Sauna klassische Musik“ (hoffentlich nicht bei eingeschaltetem Ofen!) und er zitiert Nietzsche (was sich dann auch wieder ein bisschen nach redaktioneller Unterstützung anhört, siehe oben).

Aber – und jetzt kommt es – wir haben das Buch flott und gern gelesen. Es hat uns neue Seiten gezeigt von einem, dessen Musik wir bislang ausschließlich unfreiwillig konsumiert haben. Es ist dieser Gerry Friedle nämlich wirklich ein facettenreicher und rundum okayer Typ. Ob Dolezal wohl schon an einer Verfilmung und damit an einem eigenen Comeback arbeitet?

 

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