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Tagebuch-Buch des Monats

DIANA KÖHLE (Hg.): “Verliebt (später nicht mehr). Das Beste aus 7 Jahren Tagebuch Slam”, Holzbaum Verlag 2020

Diana Köhle veranstaltet seit 2013 „Tagebuch Slams“ in weiten Teilen Österreichs. Über 200 Stück bereits! Dabei lesen – nona – Menschen aus ihren früheren Tagebüchern vor. Das ist lustig bis interessant und schon auch oft leicht peinlich. Und jetzt zum zweiten Mal nach 2017 (“Wir haben nämlich beide eine Zahnspange, aber er nur oben”, Holzbaum) auszugsweise in Buchform erhältlich. Mit Supercover im Vergissmeinicht-Dekor und mit viel Staunenswertem.

Der schöne Titel, der an die großen Themen der Menschheit erinnert, stammt von Diana, zum Zeitpunkt der Kreation 11 Jahre alt. Von den frühen 1950er bis in die späten 2010er Jahre ist alles fein säuberlich geordnet. Von Amateurphotographen und ihren spannenden Experimenten mit Blitzlicht über die unvermeidlichen Liebesaffären am Schulskikurs bis zur verschlafenen Mondlandung, dem verunglückten Haustier oder gar – huch! – dem ersten sexuellen Erlebnis und der Erkenntnis, dass das eigentlich im Sommer doch am schönsten ist. Das meiste stammt aus der Feder sehr junger Teenies, aber erfreulicherweise hat auch Herta (77, Niederösterreich) Einblick in ihr Tagebuch gewährt.

Literarische Perlen, pubertäre Phantasien und philosophische Gedanken gehen Hand in Hand. Eine Lieblingspassage: “Jetzt ist alles aus! Ich weiß nicht, wer Schluss gemacht hat. Entweder er oder ich.” (Brigitte, 13 Jahre, Tirol) Oder, auch sehr schön: “Ich glaub langsam, der Berni hat recht gehabt: Mit einem Badeanzug schaut dich niemand an! Die Birgit hat einen Bikini angehabt und prompt hat einer bei ihr angebandelt. Ich werd mir wohl auch einen Bikini zulegen müssen, wenn ich nicht für den Rest meines Lebens Single bleiben will. Das kann so auf keinen Fall weitergehen, sonst sterbe ich noch als alte Jungfer.” (Andrea, 15 Jahre, Steiermark)

Das soziologisch Interessante an dieser Sammlung ist, dass es früher lockerer zugegangen sein muss, wenn man den Eintragungen glauben darf. Da wird mit 14 schon gesoffen und getschickt, mit den Eltern gestritten, weil man schon um 10 daheim sein muss (“soooooo unfair!”). Irgendwie sagt uns da die Erinnerung etwas Ähnliches. Dann stirbt Lady Di und die eigene Mutter ist leider doch nicht Cindy Crawford, sondern a) eine blöde Kuh oder b) eine böse Hexe. Aber immerhin: “Ich habe zum Beispiel neues Gewand bekommen. Vom “New Yorker”. Superschick! Das eine sieht so aus wie der Kapuzenpulli von Natalie Imbruglia. Nur ohne Kapuze und andere Farben.” (Karin, 13 Jahre, Steiermark)

In den 2000er Jahren dann die wahre Tragödie. Fast hätte Michael (12 Jahre, Oberösterreich) das heiß ersehnte Handy bekommen. Aber: Es gibt keinen verdammten Handymasten im Ort!

Zu all dem amüsant-tragischen Wahnsinn gibt es praktische Überblicksseiten über die Jahrzehnte im Stil von Freundschaftsbüchern und Foto-Collagen. Ein üppiges Werk, das über die eigenen Erinnerungen an Fehltritte und Fehlurteile aller Art hinweg tröstet – und heutigen Eltern auch die eigene Jugend wieder sch(m)erzvoll in Erinnerung ruft. Also vielleicht sogar: Ein Beitrag zu mehr Verständnis. Und auf jeden Fall ein großer Spaß.

 

 

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