SOPHIA: “Holding On / Letting Go”, Flower Shop Recordings, VÖ 21. 8. 2020
Hurra! Unser guter alter Robin Proper-Sheppard hat eine neue Platte und zwar sensationellerweise in voller Bandbesetzung. Das erste Mal seit 1996! Jeff Townsin gibt den Drums und Percussions eins drüber, Sander Verstraete spielt den Bass, Jesse Maes an der Gitarre und Bert Vliegen an Keyboard und Synthie komplettieren die Sache. Mit dabei ist auch Terry Edwards, der unter anderem bei Nick Cave, Tom Waits oder P. J. Harvey das Sax bediente. Die Platte beginnt für Sophia-Kenner*innen reichlich ungewöhnlich. Wo ist die Stimme? Wieso ist das so heavy? Aber nach einigen Momenten der Irritation sind wir wieder im faszinierenden Universum des Herrn Proper-Sheppard. Eine Welt, die Verlust und Schmerz sehr gut kennt. Die aber durch die Übersiedlung nach Berlin ein wenig Leichtigkeit gewonnen hat. Holding On / Letting Go ist – wie nicht anders zu erwarten war – eine Platte für Feinspitze, ein wunderbares Stück Popkultur. Ein wenig vielfältiger als zuletzt und doch immer Sophia. Optimist*innen freuen sich auf den 23. November, da soll der große Brite im Fluc / Wien spielen. Warten wirs ab. In der Zwischenzeit hören wir das Album rauf und runter.
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MAGGOT HEART “Mercy Machine”, Rapid Eye Records, VÖ 10. 7. 2020
Linnéa Olsson (Gitarre, Stimme), Olivia Airey (Bass) und Drummer Uno Bruniusson sind Maggot Heart. Das Album wurde im Studio Cobra in Stockholm aufgenommen, klingt aber wie aus einer verstaubten Vorhölle. Bandleaderin Olsson wurde von früh auf geprägt durch schwedischen Death Metal, britischen Punk, durch weibliche Heroes wie Patti Smith. Die Maschine der Gnade dampft dementsprechend durch die Düsternis, keine Spur von schwedischer Happyness. Und auch wenn das kein Futzerl Innovation in sich trägt, fetzt es einfach gewaltig. Die Kanadier von Voivod sind große Fans, logisch! Und die ersten Reviews von Metal Hammer und Visions sind positiv bis euphorisch. Also: Wenn du auf der harten Seite des Lebens stehst, gib dir das!
Foto: Joe Dilworth
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BULLY: “Sugaregg”, Sub Pop, VÖ 21. 8. 2020
Hey, Sub Pop mal wieder. “My Bloody Valentine nach drei doppelten Espressos”, schreibt die PR-Agentur. Fest steht Alicia Bognanno gibt wirklich ordentlich Gas und schreit sich die Seele aus dem Leib. Und womit? Mit Recht! Zu ihrer ohnehin recht unruhigen Art gesellte sich noch eine bipolare Störung, über die sie offen spricht – und die im Musikbusiness ja nun auch keine Seltenheit (mehr) ist.
In den Pachyderm Studios in Cannon Falls ist dieses wütende Stück Platte entstanden und nur so nebenbei: Am selben Ort haben Nirvana “In Utero” in die Welt gebrüllt und P. J. Harvey war mit “Rid of Me” auch nicht gerade auf happy-peppi gebürstet. Wer jetzr denkt, okay alles klar, der hat sich geschnitten. Denn daheim in Nashville ist Bognanno gleich noch mal über das fertige Material gegangen und hat fünf Monate Arbeit drangehängt. Es ist die Platte geworden, von der sie geträumt hat. Zornig, aber halt auch wunderschön. Genauso wie Punkrock 2020 klingen muss. Was immer ein Zuckerei sein soll…
Foto: Bully / © Angelina Castillo
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ALEX IZENBERG: “Caravan Chateau”, Weird World/Domino, VÖ 31. 7. 2020
Alex Izenberg aus dem San Fernando Valley/Los Angeles kennt die Schattenseiten des Lebens auch besser als ihm wahrscheinlich lieb ist. 2012 wurde paranoide Schizophrenie bei ihm festgestellt, er lebt seither sehr zurückgezogen, die Musik ist eine der wenigen Türen nach draußen, die er regelmäßig öffnet. Schön ist die Geschichte, als er 2019 eines seiner Idole traf. Chris Taylor von Grizzly Bear hatte sich bereit erkärt, sein neues Album zu mixen. “In my head, Chris was just this mystical creature,” sagt Izenberg über das Treffen, “every time I went to take a sip of coffee, I’d spill it all over my pants.”
Über dieses neue Album sagt Ausnahmekünstler Alex Izenberg: “I’ve been working hard on it and I’m extremely proud of these songs. It was recorded largely at Tropico Beauty with Greg Hartunian and Derek Korat with whom I’ve spent many long days and nights in the studio, retracing steps and forging new paths. Sometimes we hit walls and other times we found bliss, but those long nights were always chock-filled with lol’s.”
Es ist ein Album, das mit scheinbarer Leichtigkeit, Stile aus unterschiedlichen Jahrzehnten und Kulturen mischt und dabei immer Stil beweist. Im Hintergrund steckt allerdings viel Akribie, hier ist nichts zufällig entstanden. Es ist ein sanftes, funkelndes Meisterwerk, das wie jeder echte Klassiker nie wirklich in die Jahre kommen wird. Nicht mehr und nicht weniger.
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THE BETHS: “Jump Rope Gazers”, Carpark Records, VÖ: 10. 7. 2020
Endlich wieder mal eine Band aus Neuseeland auf dem Haubentaucher. Die Beths machen so was wie unbeschwerten Indie-Rock. Und zwar mit einer Qualität, die aus der Masse herausragt. Mit dem zweiten Album ist der Durchbruch wohl endgültig abgesichert. Das Debut “Future Me Hates Me” hatte schließlich schon außerhalb von NZ starke Resonanz gefunden, bei so unbedeutenden Medien wie Rolling Stone und Pitchfork oder bei so nebensächlichen Bands wie den Pixies und Death Cab for Cutie, für die The Beths den Support machten. Interessanterweise klingt das Album flott und ziemlich fröhlich, behandelt aber durchaus Unsicherheit und Bammel vor dem Weg in die große Welt des Pop/Rock. Eine Platte, die den Sommer ein Stück besser machen wird. Und eine Band, von der wir noch viel hören werden. Nicht zuletzt, weil sie nicht verbissen an der Gitarre zupfen, sondern alle Gangarten drauf haben. Und Selbstironie ist ihnen auch nicht fremd, wie man in diesem hübschen Video sehen kann:
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ALL WE ARE: “Providence”, Domino Records, VÖ 14. 8. 2020
Mit viel Funk gehts am Ende noch in die Provinz. Und mit einer bunten Mischung aus Kulturen und Sounds. “All We Are”, das sind Richard O’Flynn (Irland, Schlagzeug), Guro Gikling (Norwegen, Bass) und dem Luis Santos (Brasilien, Gitarre). “Providence” ist ihr drittes Album. Jedes Mal ein poppiges Überraschungs-Ei, so viel kann vorweg genomen werden. Der Bass spielt fast so was wie eine Hauptrolle. Zuweilen singt man sich auch mal unbeschwert durch Zwischentöne oder klingt wie in Vorbereitung auf den European Song Contest. Vorangegangen ist dem Album eine kreative Pause von einander, die sichtlich und hörbar gut getan hat. Die drei haben große Lust, gemeinsam zu spielen. Und sich so durch die musikalische Weltgeschichte zu hanteln. 10 Songs, die echt Spaß machen.