Martin Amanshauser: „Es ist unangenehm im Sonnensystem“, Kremayr & Scheriau 2019
Hoppla, Lyrik? Das stand aber nicht auf dem Cover und die Presseaussendung haben wir gar nicht genau gelesen. Dieser Überraschungseffekt ist vermutlich gewollt, Romane verkaufen sich in der Regel besser als Gedichte, seien diese auch noch so schön. Und Amanshauser hat schon mit dem Titel „100.000 verkaufte Exemplare“ bewiesen, dass ihm Taktiken des Guerrilla-Marketings nicht völlig fremd ist.
So beginnt das Buch auch mit dem Abschnitt 1) „Kein Roman vom armen M.A.“ und bald stellt sich heraus: Egal, es lohnt sich, dieses literarische Sonnensystem näher in Augenschein zu nehmen. Wir wagen eine steile These: Viele der nachfolgenden Gedichte sind viel eher sehr gelungene Miniatur-Kurzgeschichten als klassische Poesie. Bezaubernd etwa die Schilderung vom reservierten Mittagstisch der Friederike Mayröcker. Amanshauer arbeitet überhaupt gerne mal gründlich den Alltag auf, widmet sich aber danach auch den „großen“ Themen: Schmerz, Tod, Liebesschwüre, Facebook-Postings.
Punktgenau und treffsicher führt er durch eine Welt des Wahnsinns.
Kleines Beispiel gefällig?
Ich las mit leichter Verachtung,
mit vagem Abscheu:
„Auftakt der internationalen
Handytage“. Da bemerkte ich,
Haydn.
Noch etwas ist lobenswert an dieser Lyrik, die gleichermaßen ernst wie heiter ist. Sie kennt keine (oder zumindest kaum) Linearität. Man kann (und darf vermutlich auch) das Buch kreuz und quer lesen. Man blättert hin und her, findet den Egbert mit dem beeindruckenden Penis, die Lachsalvendaisy, das sich verändernde Weißbrot, einen Sack Kondome, die doch keine sind. So hat man mehr vom Buch. Viele kleine Momente statt 2 Stunden konzentrierter Leserei. Wobei: Live würden wir das auch gerne mal hören.
Amanshauser hält den Grant, der ihm durchaus nicht fremd ist, in Grenzen, übt sich statt dessen in Sprachspielen und Alltagssoziologie. Ein rundum feines Buch, auch und vielleicht sogar gerade für Menschen, die sich Lyrik sonst niemals freiwillig antun würden.