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Aufreger des Monats

Reinhold Mitterlehner: “HALTUNG. Flagge zeigen in Leben und Politik”, EcoWin Verlag 2019

Wir haben es uns nicht nehmen lassen und Mitterlehners ÖVP Aufreger-Buch gelesen. Aufgeregt hat es uns weniger. Schon gar nicht künstlich.
Wer sich selbst eine Autobiografie verpasst, sollte entweder eine gesunde Portion Selbstironie, ein ordentliches Maß an Sendungsbewusstsein oder jede Menge pikanter Abenteuer mitbringen. Roger Moore, Barack Obama oder Giacomo Casanova wären hierfür geeignete Kandidaten. Reinhold Mitterlehner hingegen schreibt, wie er spricht: Mit dem Charme von Trockeneis.
Erzählungen in der Ich-Form sind generell schwierig, da sie, wenn sie von tatsächlichen Begebenheiten handeln, sehr schnell den Verdacht erzeugen können, hier spräche einer aus gekränkter Eitelkeit. Humor würde diesem Eindruck entgegensteuern, Mitterlehner vermittelt jedoch eindringlich, dass es grundsätzlich nichts zu Lachen gibt. Wer sich topaktuelle Enthüllungen über den österreichischen Borgia-Nachwuchs erwartet, wird ebenso enttäuscht, wie jene, die tiefe Einblicke in eine mehr oder minder erfolgreiche Politkarriere werfen wollten. Der Buchdeckel warnt bereits: „Die Politik ist Reinhold Mitterlehner in die Wiege gelegt worden. Aber wohl nicht in dieser Dimension.“ – Wer solche Rezensenten hat, braucht die Kommentare der Parteigenossen nicht zu fürchten.
Die Dimension der Haltung ist auch überraschend schmal, knapp 200 Seiten fasst das Buch, das uns Mitterlehners Leben in all seinen Höhen und Tiefen bis zu diesem schicksalhaften 10. Mai 2017 schildert. „Haltung“, so schreibt er, „ist ein Buch gegen das Verschweigen.“ Mitterlehner schwelgt also in Erinnerungen an seine Kindheit, seine Schulzeit, seinen beruflichen Werdegang und es ist durchaus interessant zu sehen, wie sich die politische Karriere des Wirtschaftbündlers und Kämmerers entfaltet. So weit so gut. Auch dass Mitterlehner gemeinsam mit dem Koalitionspartner die Wirtschaftskrise als Wirtschaftsminister gemeistert hat, verdient Anerkennung. Die Kommentare zur Flüchtlingskrise und dem Verhältnis zwischen österreichischen Medien und Politik sagen nichts, was ein aufmerksamer Beobachter des österreichischen Alltags nicht bereits leidvoll bemerkt hätte.
Und schließlich kommt das Thema Sebastian Kurz zur Sprache. Hier zeigt sich: Whistleblower wird Mitterlehner in diesem Leben keiner mehr. Dazu ist er seiner Partei dann doch zu sehr verbunden.
Empfehlung der Redaktion: Ein Diskurs Kern-Mitterlehner hätte dem Thema wesentlich mehr Witz und Spannung verliehen. Möglicher Titelvorschlag: Sag mir, wo die Blumen sind.
Text: MB
Foto: Schaufenster einer Grazer Buchhandlung, haubentaucher.at

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