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Erzählungen des Monats April

Ben Fountain: “Kurze Begegnungen mit Che Guevara”, Deutscher Taschenbuch Verlag 2015

Die vielfach ausgezeichnete Geschichtensammlung des Literaturwissenschaftlers Fountain ist fast so etwas wie ein Pflichtkauf für alle, die nicht nur 500-Seiten-Romane konsumieren. Der Amerikaner ist ein Meister der knappen Prosa, wird zuweilen mit Graham Greene und anderen Größen verglichen, hat aber einen ganz eigenen Stil – und vor allem eigene Themen. Haiti und diverse unwegsame lateinamerikanische Gegenden stellen den Schwerpunkt des Buches dar, doch am Ende kommt selbst Österreich und seine Historie zu zweifelhaften Ehren. Die Stories sind allesamt enorm spannend, aus jeder einzelnen hätte man einen Roman machen können (musste man aber eben nicht). Der Vogelforscher Blair wird von Guerrilleros entführt, kommt manch seltener Spezies auf die Spur und wird am Ende gegen seinen Willen den Amerikanern übergeben. Die Frau eines hochrangigen Soldaten muss damit leben lernen, dass ihr Mann nach seiner Rückkehr aus dem Kampf zwei Tage pro Woche mit einer Voodoo-Göttin verkehrt. Syto klaut Drogen, rettet die Nachbarschaft vor bitterer Armut, muss selbst aber ständig um sein Leben fürchten. Und die geniale Pianistin Anna wird ob ihrer jüdischen Herkunft verspottet und amputiert sich zum Finale einer spektakulären Karriere den sechsten Finger ihrer rechten Hand. Von Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart reicht die Zeitstrecke, die Fountain seiner Leserschaft bietet. Keine Geschichte gleicht dabei der anderen. Daher empfiehlt sich sparsame Dosierung bei der Lektüre. Dramatische Handlung, sprachliche Raffinesse, ein großartiges Werk der kurzen Form.

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