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Dramen, die das Leben schrieb Theater

Familiendrama des Monats

„Rutherford & Sohn“
von Githa Sowerby

Das Stück der britischen Autorin Githa Sowerby wurde 1912 in London aufgeführt und das sehr erfolgreich. Die Kritiken waren blendend. Erst als der eine oder andere Journalist erfuhr, dass „Rutherford & Son“ von einer Autorin stammte, wurde das Lob stellenweise revidiert. Das Stück verschwand in der Folge für längere Zeit in der Versenkung. In den 1980er und 1990ern wurde es wieder aufgeführt und vor allem auch von Feministinnen neu entdeckt. Heute gilt es in England als eines der wichtigsten Theaterstücke des 20. Jahrhunderts aus weiblicher Feder.

Es ist die Familiengeschichte der Autorin selbst. Der strenge, zynische, hartherzige Vater. Seine beiden Söhne, die aus unterschiedlichen Gründen sein Werk, die Glasfabrik, nicht weiterführen wollen. Die Tochter, die Schwiegertocher und die Schwester, die er weitgehend ignoriert. Sein treuer Gehilfe Martin, den er am Ende eiskalt abserviert. Das alles spielt sich unter der Regie von Jakab Tarnóczi in einem weitläufigen Haus ab, das an die Bilder von Edward Hopper erinnert.

Viel Glas bietet Einblicke in alle Räume bis auf das Kinderzimmer. Die Drehbühne ist in Dauerrotation. Eszter Kálmán (Bühne) und Ilka Giliga (Kostüme) gebührt spezieller Applaus. Das Szenario ist bis ins letzte Detail ausgefeilt (der Sternenhimmel!), das Outfit führt das Stück und die handelnden Personen in die Gegenwart. Noch gibt es sie ja wirklich, die alten Patriarchen. Und Franz Solar (John Rutherford Sr.) ist als herzloser Vater in dieser Spielzeit schon zum zweiten Mal perfekt  besetzt. Ähnlich grausam wie in Kafkas „Heimkehr“ ist Solars Umgang mit den Kindern anfänglich subtil und gegen Ende hin alles vernichtend.

Die Schauspieler:innen sind bei Tarnóczi angehalten, die Rolle nicht auf die Bühne zu wuchten, sondern in jedem Moment zu leben. Und „leben“ heißt halt auch: Die Klappe halten, wenn man nicht gefragt ist. Aufbegehren, ohne auch nur einen Millimeter gegen den Familientyrannen weiterzukommen. Und dann: Explodieren, wenn es irgendwann endgültig zu viel ist.

Eine, die immer dient und sich nur um die Meinung der anderen kümmert, ist Tante Ann (stilvoll grau und glaubhaft spießig: Olivia Grigolli). Ihr Bruder, der Herrscher über den Esstisch und die Glaswerke, wechselt so gut wie kein Wort mit ihr. Eine, die sich auflehnt, ist Mrs. Henderson (verzweifelt aktionistisch: Anke Stedingk), die mit ihrer Warnweste wohl nicht zufällig an die Aufstände in Frankreich erinnert. Die Söhne des Hauses (Mario Lopatta und Tim Breyvogel) und letztlich auch die Tochter (Marielle Layher) geben auf und fliehen aus dem Haus. Der langjährige Adlatus Martin (Thomas Kramer), der ein Verhältnis mit der Tochter des Chefs hat, fliegt in hohem Bogen raus. Zurück bleibt die Schwiegertochter (herrlich ambivalent: Annette Holzmann), die einen abgründigen Deal mit Rutherford sen. abschließt. Die Besetzung ist top, da gibt es nichts zu rütteln.

Es ist ein Abend, der manchen die Gänsehaut aufziehen wird, in Erinnerung an das eigene, strikt hierarchische Familienleben. Andere, die mehr Glück mit den Eltern hatten, werden kaum nachvollziehen können, warum dieses Stück anno 2025 noch auf die Bühne kam. Man hätte es ein wenig kürzen können, das wohl, aber die Brisanz ist da. Auch heute nach mehr als 100 Jahren.

Premiere 11. 1. 2025, weitere Termine ab 14. 1. jeweils 19.30, Schauspielhaus Graz

Foto: Tim Breyvogel, Annette Holzmann, Franz Solar / © Lex Karelly

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